
Vor einiger Zeit sprachen wir mit Michael Braungart über Cradle to Cradle. Wie bei unseren Gesprächen üblich, baten wir auch ihn darum, uns eine Frage zu stellen. Diese lautete:
„Beschäftigen Sie sich so viel mit Resten, weil Sie als Kind nicht im Topf rühren durften?“
Eine Antwort auf diese Frage mit einem gewissen psycho-analytischen Hintergrund sind wir damals schuldig geblieben, versprachen aber, einen Fachmann auf diesem Gebiet befragen zu wollen. Gesprochen haben wir daher mit dem Frankfurter Diplom-Psychologen Dr. Urban Leim-Frübis. Dieser ist allerdings der Meinung, dass weniger die Kindheit, sondern vor allem unser kulturelle Prägung die Ursache für die Beschäftigung mit Resten sei:
- In unserer Kultur hat einen ganz entscheidenden Anteil daran, dass wir uns Resten annehmen, dass es einen Vorteil darstellt, sich Ressourcen zu verschaffen. Aber nicht nur ökonomische, sondern auch organisatorische Vorteile sind die Folge. Wenn man etwas auf Lager hat, muss man es nicht über möglicherweise komplizierte Wege erst besorgen. Hatte man früher noch Kleiderreste, konnte man Kleider flicken und so seinen Alltag gestalten. Für Bauern beispielsweise war es früher ein kleiner aber entscheidender Vorteil, die unterschiedlichsten Reste noch auf Lager zu haben.
- Darüber hinaus gibt es aber auch eine moralische Komponente, wie man am Beispiel der sogenannten Mülltaucher deutlich sieht. Sie sehen es als eine Möglichkeit an, um damit ihren Protest gegenüber der Wegwerfgesellschaft auszudrücken.
- Aber auch eine gewisse Art der Sammelleidenschaft kann dabei eine gewisse Rolle spielen. Hier wird deutlich: Es hat weder einen ökonomischen noch einen organisatorischen Vorteil, es bringt aber Spaß und bis zu einem gewissen Grad auch eine Befriedigung.
- Weitergefasst könnte man aber auch über Zwangsverhaltensweisen nachdenken, wie es zum Beispiel bei Messies deutlich wird. Oft wird das in Zusammenhang mit Revierverhalten gebracht.
Auf Magazin für Restkultur übertragen, sehe ich weniger einen der oben genannten Gründe oder eine Kovarianz mit Kindheitserlebnissen, sondern eher den Spaßfaktor. Und: Wer Spaß hinterfragt, hat ihn ja schon verloren, oder?
Wir danken Herrn Leim-Frübis für die Erläuterungen – und Herrn Braungart für die interessante Frage.
Alle bislang gestellten Fragen sind unter Die Frage an uns zu finden.