Wegwerfware Tier: »Akzeptabler Zweck« für Eintagsküken?

Vom Fließband in den Tod – aussortierte »Eintagsküken« ©Foto: PETA/Karremann
Vom Fließband in den Tod – aussortierte »Eintagsküken« ©Foto: PETA/Karremann
12 Millionen Küken jährlich werden alleine in Hessen direkt nach der Geburt getötet. Dies hat auf Nachfrage des Hessischen Rundfunks das Hessische Umweltministerium vor wenigen Tagen bekanntgegeben. Der Grund: die wohlgemerkt nur männlichen Tiere eignen sich schlichtweg nicht zum Eierlegen und auch mit Blick auf ihre Fleischleistung gelten sie als nicht »brauchbar«. Schriftlich lässt das Ministerium den Sender wissen: »In Hessen werden inzwischen sämtliche männliche Küken nicht mehr geschreddert und entsorgt, sondern mit Gas getötet und als Tierfutter genutzt. So können die Küken noch einem akzeptablen Zweck dienen.«

Der erste Lebenstag männlicher Küken in einer seit Jahrzehnten auf Leistung und Menge spezialisierten Industrie ist in der Regel auch der letzte. Immerhin: Die bislang gängige Praxis »aussortierte« Tiere lebendig zu schreddern weicht zunehmend der Betäubung mit giftigem Gas. Die sogenannten »Eintagsküken« werden, wie Firmenvideos und Dokumentationen zeigen (siehe weiterführende Links weiter unten), in Gefäße verbracht, in denen sie tödlichem CO2 ausgesetzt werden. In ganz Deutschland kommen dabei ca. 50 Million Küken um – europaweit wird die jährliche Menge auf knapp 330 Millionen beziffert. Zahlreiche Tierschutzorganisationen beklagen zwar schon seit Längerem, dass dies gegen das Tierschutzgesetz verstoße. Schließlich wird ja darin ausdrücklich verboten, Tiere »ohne vernünftigen Grund zu töten«. Ein Ende dieser Praxis ist aber frühestens für 2017 – und nach Meinung einiger Experten realistischerweise erst für 2020 –  in Sicht. Dann sollen es neue Verfahren ermöglichen, das Geschlecht der Tiere schon im Ei zu erkennen.

Spezialisierung
Der Grund für diese Art der Verwertungs-Logik ist in den speziell auf die vermeintlichen Konsumwünsche hiesiger »Verbraucher« ausgerichteten Zuchtverfahren zu finden. Diese haben in den vergangenen Jahrzehnten zu hochspezialisierten Hühner- und Hähnchenrassen geführt. Einer hohen Legeleistung der weiblichen Tiere steht bei der sogenannten »Legelinie« eine entsprechend geringe Fleischleistung der männlichen Brudertiere gegenüber. Letztere fallen nicht nur hinsichtlich ihrer Aufzuchtzeit »negativ« in der Bilanz auf – auch der erhöhte Futtereinsatz erweist sich in den Augen der Mastbetriebe als unrentabel. Bei der eigens für die Fleischproduktion gezüchteten »Mastlinie« hingegen sind weibliche und männliche Tiere gleichermaßen »ertragreich«. Nach etwas weniger als einem Monat werden diese bereits geschlachtet. Die Fragen nach dem Tierwohl und Zweifel an der ethischen Unbedenklichkeit dieser industriell betriebenen Tierhaltung bleiben hier wie da jedoch bestehen. Sarkastisch ließe sich ja einwenden, dass den männlichen »Eintagsküken« immerhin die »Turbo«-Aufzucht unter zuweilen fragwürdigen Bedingungen erspart bleibt.

Alternativen?
Dürfen wirtschaftliche Erwägungen dazu führen, dass Leben vernichtet wird und bestimmte Haltungsbedingungen in Kauf genommen werden? Das fragen sich nicht nur Tierschützer. Auch der Landwirt Peter Schubert aus dem oberfränkischen Ingersdorf versucht mit seinem »Gockeldorf«-Projekt Zeichen gegen die gängige Verwertungslogik zu setzen. Auf seinem Bauernhof zieht er, neben Legehennen, auch ausdrücklich männliche Bio-Artgenossen auf, die ihr Schlachtgewicht zwar später, aber irgendwann eben doch erreichen. Das Prinzip: Über einen höheren Eipreis subventioniert der Landwirt die an sich nicht rentable Aufzucht der Hähnchen. Geforscht wird indes auch an sogenannten »Zweinutzungshühnern«: die Lege- und Fleischleistung dieser Tiere ist in Summe zwar geringer, doch bleibt hier männlichen Nachkommen das Schicksal der »Eintagsküken« erspart. Böse Zungen könnten ja jetzt einwenden, dass das Leben dieser Tiere zwar am längeren, aber eben doch seidenen Faden menschlicher Einflußname hängt. Ist also der Verzicht auf das Sonntagsfrühstücksei die Ultima Ratio und damit der einzige Weg, um den »akzeptablen Zweck«von Millionen von Küken zu vermeiden? Veganer, die nicht zuletzt aufgrund des mit unserem Konsumverhalten einhergehenden Tierleids auf die Aufnahme und den Verbrauch jeglicher Art tierischer Produkte verzichten, sind bei dieser Frage ja womöglich schon etwas weiter.


Gängige Praxis: Küken »sexen«

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