»Und nu?« Fünf Fragen an den Architekten und Aktivisten Van Bo Le-Mentzel

„Und nu?“

Fünf Fragen an den Architekten und Aktivisten Van Bo Le-Mentzel –
und eine Frage, die er uns stellt 

[02|14] Sich mit Resten und Restkultur zu befassen, bedeutet mitunter einen Blick auf alternative Lebensentwürfe und Ideen zu werfen. Dem Rest haftet schließlich auch der unschöne Makel an, das unweigerliche Ergebnis einer auf Konsum und Verschwendung ausgerichteten Überflussgesellschaft zu sein. Manchmal sind es eher flüchtige Skizzen, die einen Weg hin zu parallelen Gesellschaftsformen beschreiben. Andere Male hingegen nehmen Ideen aber auch plastische Züge an. Dann zum Beispiel, wenn man wie Magazin für Restkultur fünf Fragen an den Architekten und Aktivisten Van Bo Le-Mentzel richtet.
1. Mit Deinen Hartz IV-Möbeln hast Du ein leises, aber gut vernehmliches Zeichen der Solidarität mit Hartz IV-Betroffenen gesetzt. Was hat sich Deiner Meinung nach in der öffentlichen Wahrnehmung seitdem geändert? Gibt es sogar konkrete Ergebnisse?
Ich denke, dass immer mehr Menschen (ich inbegriffen) einsehen, dass die Wirtschaft, die momentan allein auf Erwerbsarbeit abzielt, nicht das Wahre sein kann. In meiner Crowd sind so viele wunderbare Menschen ehrenamtlich aktiv – die meisten von ihnen beziehen Hartz IV. Ich denke da an Dirk Helmgens aus Nürnberg, der das Reklamationsbüro für die Karma Chakhs geleitet hat und mir bei meiner Buchhaltung hilft. Ich denke an die Französin Chuy You, die bei unseren Baupartys kocht und musiziert. Sie alle erzählen mir, dass sie aus der Erwerbsarbeit kommen, ja dass sie sich haben anstellen lassen und dass es sie aber ausgelaugt hat. Dass sie in ihrer Arbeit keinen Sinn gesehen haben und dass die Bezahlung auch teilweise so schlecht ist, dass es nicht zum Leben reicht. Wir alle machen uns nun auf den Weg, um den nächsten Schritt nach Hartz IV zu machen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung.
2. Das 1QM-Haus, die Hartz IV-Möbel und -Wohnung oder Deine Plattform konstruieren statt konsumieren und nicht zuletzt das UNREAL ESTATE HOUSE: Was sind Deine nächsten Vorhaben und gibt es auch Architekturprojekte, denen Du nachgehst?
Ich mache keine Trennung zwischen bloggen, Workshops machen, entwerfen, bauen und Schuhe prosumieren. Für mich ist das alles eine neue Form von Architektur, bei der es um den Entwurf des Lebensentwurfes geht. Um die Architektur der Gesellschaft, um das Karma der Wirtschaft. In der Tat würde ich liebend gerne mal ein klassisches Hochbauprojekt machen (traut mir allerdings bislang noch niemand zu). Ich könnte mir vorstellen, eine Schrebergartenkolonie zu gründen (es würde allerdings darin aussehen wie in einem holländischen Dorf) oder ein Miethaus in einer Baulücke mitten in der Stadt zu bauen. Wenn jemand daher ein Grundstück hat, meldet er sich am besten bei mir: prime@web.de
3. Was verbindest Du persönlich mit den Begriffen Reste und Restkultur?
Das Wort Rest hat eine Nähe zu dem Wort Ruhe. Rest in peace heißt übersetzt Ruhe in Frieden. Wir brauchen unbedingt eine wertfreie Betrachtung der Dinge. Die Wirtschaft will uns glauben machen, dass eine aus der Mode gekommene Karottenhose entsorgt gehört, oder dass eine A-Klasse von gestern unbedingt durch eine neue A-Klasse ausgetauscht werden muss. Was Rest und Abfall ist und was nicht, ist keine Frage von Funktionalität, sondern reine Definitionssache, oder besser gesagt: Eine Kulturfrage. Chuy You ist Lebensmittelretterin und sammelt beispielsweise bei Großveranstaltungen das Resteessen ein, um es an alle zu verteilen. Das hat nichts mit Charity zu tun, sondern damit, dass sie es nicht einsieht, dass Essen weggeschmissen werden soll. Es ist allerdings eine Kulturfrage, ob Menschen wie Chuy You mit schrägem Blick angesehen werden oder nicht. Sie ist keine Bettlerin und will sich auch nichts erschleichen. Sie gehört zu den wenigen, die verstanden hat, dass wir ein Verteilungs- und nicht ein Versorgungsproblem haben. Es gibt zu viele Güter, und zu wenig Güte. Nur Kultur kann Verhalten ändern, von daher ist eine Kultur der Resteverwertung genau das Richtige.
4. „Geben und nehmen“ ist bekanntlich Dein Motto. Du gibst uns ja jede Menge kreative Projekte – wo nimmt sich Van Bo Le-Mentzel auch mal was?
Ich mache es wie die Aikido-Kämpfer. Angriff und Verteidung sind eine Bewegung. Das heißt, dass wenn ich austeile (zum Beispiel Wissen in einem Workshop) ich in der selben Bewegung versuche auch zu nehmen (zum Beispiel Hinweise, Kontakte, Wissen usw.) Vor kurzem erst war ich in Köln bei einer Podiumsdiskussion vom Debattenforum bkult.de und sollte dort die Hartz IV-Möbel vorstellen. Eine Kuratorin vom Vitra Design Museum hat dabei einen interessanten Vortrag über Do It Yourself aus Sicht des Museums gehalten und so habe ich etwas neues dazu gelernt. Sie meinte, nämlich, dass nur die wenigsten Designer mit dem Entwerfen und Produzieren von Stühlen leben können. In der Regel kann man mit Stühle verkaufen kein Geld verdienen, weshalb es aus ihrer Sicht vollkommen verständlich ist, dass immer mehr Designer und Architekten erst gar nicht versuchen, Stühle zu verkaufen und eher klanglos und ehrenlos sterben. Da möchte ich als Gestalter doch lieber einen Beitrag leisten. Und wenn dieser über Creative Commons Lizenzen gemacht werden kann, warum nicht. Das Konzept Arbeiten für Geld ist meines Erachtens nicht mehr tragfähig. Wir müssen neue Wege finden, unsere Existenzen zu sichern. 
5. Was nervt Dich, worauf Du immer wieder angesprochen wirst?
Mich nervt die Frage, ob denn wirklich Hartz IV-Empfänger die Hartz IV-Möbel bauen. Übrigens lautet die Antwort: Diese Möbel werden von Menschen gebaut, die konstruieren und nicht so viel konsumieren wollen. Das sind Hartzis, es sind aber auch Rentner, alleinerziehende Mütter, Kranke, Obdachlose und Flüchtlinge. Und nu?
Die Frage an uns
Wann immer möglich, bitten wir in unseren Gesprächen auch um eine Frage an uns – und machen den Interviewten kurzerhand zum Interviewer. Was wollen unsere Gesprächspartner über Magazin für Restkultur erfahren? Vielleicht sind es ja die gleichen Dinge, die auch unsere Leser von uns gerne wissen möchten. Die bisher gestellten Fragen – und unsere Antworten – sind unter Fragen an uns zu finden.
Van Bo Le-Mentzel (Architekt, Aktivist) fragt:
Könnt ihr euch vorstellen das Magazin als crowdbook zu publizieren?
Ja, es gehört zu unseren erklärten Absichten mindestens ein Magazin/max. 10 als Crowdfunding-Projekte zum Laufen zu bringen! We will see – und ein erstes Layout gibt es übrigens auch hier schon zu sehen!»Und nu? Fünf Fragen an Van Bo Le-Mentzel, 2|2014«
 
Wir danken Van Bo Le-Mentzel für die ausführlichen Antworten – und für die Frage.

+ Zur Person
VAN BO LE-MENTZEL, Architekt
Van Bo Le-Mentzel
  • Van Bo Le-Mentzel (37), Berlin/Laos
  • Reste sind für ihn: Reine Definitionssache. In Europa werden die Hühnchenfüße abgehackt, in Asien ist das eine Delikatesse.
  • Van Bo Le-Mentzel ist unter anderem an folgenden Projekten beteiligt: hartzivmoebel.de // kieztankstelle.de // Konstruieren statt konsumieren (Facebook)
    ©Foto mit freundlicher Genehmigung Van Bo Le-Mentzel 
 

 

ME für magazin-restkultur.de | © Magazin für Restkultur 2014

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