Valentin Thurn
©Foto: Brigitta Leber/Adaption: mgzn rstkltr

Magazin für Restkultur im Gespräch mit dem Regisseur Valentin Thurn

„Eine geteilte Verantwortung“ 


[02|14] Mit dem im Jahr 2011 veröffentlichten Dokumentarfilm „Taste the Waste“ hat sich Valentin 
Thurn dem Problem der Lebensmittelverschwendung auf vielschichtige Art  genähert. In nüchternen, dafür aber umso eindringlicheren Bildern zeigt er die geteilte Verantwortung auf, die Hersteller, der Handel und nicht zuletzt die Verbraucher in Hinblick auf den nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln haben – ohne die Protagonisten jedoch vorzuführen. Die Zahlen sprechen ja für sich: Mit den in der nördlichen Hemisphäre vergeudeten Lebensmitteln ließe sich rein rechnerisch dreimal die gesamte Weltbevölkerung ernähren. Wir haben mit Valentin Thurn über die Auswirkungen gesprochen, die der Film auf ihn und in Deutschland gehabt hat, uns den Schwierigkeiten und olfaktorischen Eindrücken beim Filmdreh genähert und ihn zusätzlich gebeten, auch uns eine Frage zu stellen.

Magazin für Restkultur: Welche Auswirkungen hat der Film Taste the Waste Deiner Meinung nach auf die Industrie, den Handel und nicht zuletzt auf den Verbraucher gehabt? Und: Was hat sich möglicherweise dadurch geändert?

Valentin Thurn: Am meisten hat es mich erstaunt, wie es auf mich persönlich und auf diejenigen gewirkt hat, die direkt damit zu tun hatten, wie zum Beispiel auf meinen Kameramann – den ersten Zuschauern also. Zumal es bei allen Beteiligten stark in das eigene Privatleben hineingewirkt hat. Es ist ja nicht ein rein akademisches Thema und das ist auch der Schlüssel dafür, weshalb das Thema Lebensmittelverschwendung so viele Menschen erreicht hat. Weil es schlichtweg etwas mit ihrer eigenen täglichen Realität zu tun hat. Jeder von uns schmeißt täglich Sachen weg und tut es dabei ja ungern. Wir haben damit ein Thema angerührt, das wider die menschliche Natur und unserer kulturellen Prägung ist. Der größte Erfolg ist aber, dass die Politik mit einer Kampagne reagiert hat und aber auch Unternehmen auf das Thema eingegangen sind. Ein gutes Beispiel sind zum Beispiel die sogenannten Vorkassenbäckereien, denen (vertraglich) vorgeschrieben wurde, dass sie bis zum Ladenschluss volle Regale haben müssten. Wenn es also am nächsten Tag kein altes Brot in den Regalen gibt, ist wohl klar, was damit passiert sein muss. Diese vertragliche Klausel haben jetzt einige große Ketten auf Grund der Diskussion der letzten zwei Jahre aufgegeben. Das über Jahrzehnte gewachsen Problem ist damit noch längst nicht gelöst, aber es ist jetzt da angekommen, wo auch Mengen reduziert werden können, nämlich in der Wirtschaft.

mgzn rstkltr: In dem aktuellen Film Die Essensretter ist zu sehen, dass die deutsche Politik nicht im gleichen Maße mitzieht wie zum Beispiel in England. Dort war ja zu beobachten, dass es schon seit fünf Jahren die Bewegung „Love Food – Hate Waste“ gibt, die enorm erfolgreich ist. Warum passiert das bei uns nicht?

Valentin Thurn: Da hat sich ganz einfach eine Lobby stark dagegen gesperrt. Ein Beispiel: Als Experte durfte ich in einem Bundestagsausschuss eine Stellungnahme zu diesem Thema vortragen. Vertreter vom Handel und aus der Industrie, nehmen sich aber nicht wirklich Zeit darüber nachzudenken, das ist mein Eindruck. „Wenn die Verbraucher  weniger wegwerfen, machen wir weniger Umsatz“, scheint die vorherrschende Logik zu sein. Es gibt aber auch zum Glück einen anderen Trend weg von der Idee, dass Lebensmittel möglichst günstig sein sollen. Wenn nämlich den Lebensmitteln mehr Wertschätzung entgegengebracht wird, dann sind auch die Verbraucher wieder eher bereit, auch mehr dafür auszugeben, was ja auch für die Unternehmer wieder etwas Positives sein würde. Grundsätzlich herrschte aber eine ablehnende Haltung vor, verbunden mit der Idee, dass es ja die Verbraucher und nicht der Handel oder die herstellenden Betriebe seien, die am meisten Lebensmittel wegschmeißen. „Macht doch eine Kampagne, die sich an die Verbraucher richtet“, lautete das Motto. So ist auch eine reine Verbraucherkampagne gestartet worden, die im Vergleich zu dem, was man machen könnte, ziemlich klein ist. Glaubwürdiger wäre es, eine Kampagne zu starten, die die ganze Produktionskette durchleuteuchtet. Mal gucken, wie es mit dem neuen Minister aussieht. Wir werden jedenfalls mit einem Bündnis von Verbänden wie Foodsharing über WWF bis zur Welthungerhilfe eine Aktion in der Nähe des Reichtstags im September starten, die breiter aufgestellt ist.

mgzn rstkltr: Wir hören richtig raus, dass du mehr als „nur“ ein Dokumentarfilmer, sondern auch Aktivist bist? Und ist Foodsharing eigentlich erst aufgrund Deines Filmes entstanden?

Da hat sich ganz einfach eine Lobby dagegen gesperrt

Valentin Thurn: Ja, das kann man sagen – der Film hat mich tatsächlich zum Aktivisten gemacht. Und ja, Foodsharing ist eine Reaktion auf den Film und auf die Menschen, die nach einer Lösung gesucht haben. Viele, auch jüngere Mitglieder aus unserem Team haben gemeint: „Warum denn nicht Essen teilen, wenn es doch auch Economy-Sharing gibt?“ Ich bin jetzt Vorsitzender von Foodsharing – und das obwohl ich eigentlich nie ein Verein gründen wollte!

mgzn rstkltr: Was aber nicht bedeutet, dass Du keine Dokumentationen mehr drehen wirst?

Valentin Thurn: Nein, Dokumentarfilme drehen ist und bleibt mein Hauptberuf. Die Hauptarbeit bei Foodsharing wird ohnehin von mittlerweile ganz vielen lokalen Ortsgruppen und mehr als 4000 Freiwilligen übernommen. Ich mache tatsächlich weiter an einem Film – dieses Mal wieder über Essen. In den mehr als 100 Kinodiskussionen, die mit dem Haltbarkeitsdatum anfingen und mit dem Welthunger aufhörten, ging das quasi als Auftrag hervor. Die Hauptfrage um die es dabei geht: Wie schaffen wir es die 10 Milliarden Menschen zu ernähren, die 2050 auf der Erde leben werden?

mgzn rstkltr: Obwohl, wenn man sich nur die Zahlen anschaut ja mit dem, was wir in Europa und in den Vereinigten Staaten an Lebensmitteln verschwenden sogar dreimal die Weltbevölkerung zu ernähren wäre …

Valentin Thurn: Ja, daraus ergibt sich ja auch schon eine Antwort: Die Verteilung ist wichtiger als die Produktion zu steigern. Aber auch dazu gibt es unterschiedliche Meinungen und keine einfachen Lösungen. Wir zeigen in dem Film aber eine gewisse Bandbreite an überraschenden Ansätzen, die es dazu gibt.

mgzn rstkltr: Das hat thematisch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Film Die Essensretter, in dem auch gezeigt wird, wie in kleinen Initiativen Dinge geändert werden können …

Valentin Thurn: Ja, die Ähnlichkeit besteht darin, das Problem von den Lösungen her zu denken. Wobei wir bei dem neuen Film das Thema ein ganzes Stück weiter spannen und vor einem 30 Jahre-Horizont denken und dafür rund um die Welt fahren.

Von den Lösungen her denken“
Links: aussortierte Kartoffeln, Rechts: Essensretter-Initiative „Missfits“
©Fotos: Taste the Waste/Die Lebensmittelretter mit freundlicher Genehmigung Valentin Thurn

 

 

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