»Shabbyshabby«: Die Stadt mit anderen Augen sehen

»Fountain of Fortune«: Im Fortunabrunnen am Isartorplatz
»Fountain of Fortune«: Im Fortunabrunnen am Isartorplatz
»Shabbyshabby« in München (12. September bis 13. Oktober 2015)
[10|15]
Öffentlicher städtischer Raum gliedert sich in einer Vielzahl funktioneller Einrichtungen: Hier der Weg für den Fußgänger; dort die Straße für den motorisierten Verkehr und zu Erholungszwecken ist die Parkanlage womöglich nicht weit entfernt. Wohngebiete, aber auch Industrieanlagen oder Brücken und Unterführungen werden ebenfalls ausdrücklich ihrer Bestimmung entsprechend genutzt. Störungen im Betriebs- und Nutzungsablauf dieser überwiegend auch gesetzlich geregelten Ordnungen werden höchstenfalls kurzzeitig geduldet. Was vielleicht zu bedauern ist, wird doch der Blick auf eine lebhafte und nicht den Planquadranten von Städteplanern stammende Nutzung mitunter durch Paragraphen versperrt. Alles muss eben seine Ordnung haben. Was aber, wenn …
  • … ungenutzter öffentlicher Raum für eine unbestimmte Zeit als Schlafstätte genutzt werden könnte?
  • … sich städtische Nischen und Parkanlagen ihrer Bestimmung widersetzen und den Blick freigeben auf ungewöhnliche und ungewohnte Perspektiven?
  • … „übrig gebliebene Orte“ den Platz für experimentelle Neu-Nutzungen böten?

Wir befinden uns in München. Ausgerechnet
Dann befänden wir uns in München, also in ausgerechnet jener Stadt, die die höchsten Mietpreise in Deutschland erzielt. Doch genau hier werden noch bis zum 13. Oktober 2015 diese Gedanken- und Erfahrungsexperimente möglich. In die Bayerische Hauptstadt nämlich haben die Münchner Kammerspiele (mit Unterstützung des Kulturreferats München und eines nicht ganz unbekannten schwedischen Möbelhauses) das Architektenkollektiv Raumlabor Berlin eingeladen. Das Ziel: unterschiedlichste T(r)aumlandschaften in der Stadt auszumachen, die dann einen Monat lang einer gänzlich neuen Bestimmung als Schlafstätte zugeführt werden. »Könnte vielleicht so eine ganz neue Art von Lagerfeuergesellschaft, von Meinungsbildung und -austausch bei Stockbrot und Cowboykaffee entstehen?«, fragten (und fragen sich noch) die Ausrichter. 22 sogenannter »Shabbyshabby«-Apartments, in denen diesen Fragen nachgegangen werden kann, sind aus dieser Idee hervorgegangen und in der Münchner Innenstadt verstreut. Sie dürfen aber nicht nur bewohnt, sondern auch als provokant gesetzte Akzente verstanden werden, die unsere vermeintlich etablierten Raum-Ordnungen nonchalant hinterfragen. Wenngleich von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen ja anmerken könnten, dass wir dann wohl auch zumindest partiell ihnen bekannte Perspektiven einnehmen.

 

Die Segel auf den Schuttcontainer setzen –
oder durch den Schrank das Schlafzimmer betreten

So unterschiedlich die Orte sind, an denen die »Shabbyshabby«-Apartments auf-, unter- oder eingebaut wurden, so vielfältig sind auch die Konzepte der Gestalter und Architekten, die Raumlabor Berlin in München unterstützt haben. Während in vermeintlich »bester« Lage  beispielsweise ein alter Schrank in einer Fußgängerunterführung den Zugang zu der darüber liegenden »M6«-Beletage (Regina Baierl) bietet, lichtet man am Gärtnerplatz, auf dem auf einem Schuttcontainer errichteten »Belafou« (Labor Fou) die Anker und setzt die Segel. Den Wortwörtlich letzten Rest hat sich hingegen ein Linzer Kollektiv für die Errichtung der »Zur feinsten Seide«-Stätte gegeben: In unmittelbarer Nachbarschaft zu Haute-Couture-Geschäften in der Maximiliamstraße haben sie ein buntes Flicken-Zelt aufgeschlagen, das aus ausrangierten Altkleidern besteht. Ganz in der Nähe, provokanter könnte die Geste nicht sein, nimmt die Münchner Gruppe »Denkbar« mit einer aus unzähligen Überbleibseln gezimmerten Hütte vor den noblen Geschäften Platz und fordert mit ihrem Projekt »Give and take« zum Teilen auf. Einen Ausblick darauf, wie sich nicht genutzte oder ausgediente Brunnenanlagen um- und neugestalten lassen könnten, bieten außerdem die Gestalter von »VDS«, die dem Fortunabrunnen am Isatorplatz kurzum eine hölzerne Haube übergestülpt und in »Fountain of fortune« umbenannt haben.

Annähernd fünfzehn Mal ließen sich die Beschreibungen fortsetzen, doch … Warum nicht besser die Zeit nutzen und eine Reise nach München unternehmen, um vor Ort die Stadt mit anderen Augen zu sehen?

 

Plakat zu »ShabbyShabby«
Plakat zu »ShabbyShabby«
»Shabbyshabby« in München (12. September bis 13. Oktober 2015)
Tickets für die knapp 35 Euro teure Übernachtung in einem »Shabbyshabby«-Apartment sowie weitere Informationen sind an der Tageskasse der Münchner Kammerspiele, unter 089 / 233 966 00 oder auf der Website der Münchner Kammerspiele erhältlich.

©Fotos: Matthias Kestel mit freundlicher Genehmigung Raumlabor Berlin/Montage: Raumlabor Berlin

ME für magazin-restkultur.de | © Magazin für Restkultur 2015

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