mgzn rstkltr: Du hast um die 40 Dokumentarfilme gedreht oder warst an ihnen beteiligt. Das Thema Lebensmittel steht dabei in besonderer Weise im Mittelpunkt. Ist von Dir auch ein Film zu erwarten, bei dem es auch beispielsweise um die Elektroschrott-Probleme geht, die wir durch illegale Ausfuhren nach Afrika (Stichwort: Agbogbloshie in Ghana) verursachen?

Valentin Thurn: Wir haben über genau dieses Thema lange Zeit nachgedacht. Ich kenne auch einen Journalisten aus Ghana – doch, ich glaube, dass diese Geschichte schon sehr gut von anderen Journalisten erzählt worden ist. Ich produziere auch Filme von Kollegen, die bei uns ausgebildet wurden und im Oktober letzten Jahres erst, wurde der Film „Weniger ist mehr“ ausgestrahlt, in dem es um die sogenannte „Postwachstumsökonomie“ geht. In Ländern wie Spanien zum Beispiel wird aufgrund der Krise nicht einfach mal ein Handy so weg geschmissen, sondern repariert. In der Talkshow, die am 18. Januar im SWR ausgestrahlt wurde und die auch unter dem Motto „weniger ist mehr“ lief, hatte ich Gelegenheit, von meinen eigenen Erlebnissen dazu zu berichten. Zum Beispiel, dass mein 16 jähriger Sohn erst kürzlich sogar einen defekten Satellitenreceiver aus einem Repair Café repariert zurückgebracht hat. Dort sind alle Paar Wochen pensionierte Elektriker da, die sich darum kümmern, defekte Geräte zu reparieren. Vielleicht ist das diese eingebaute Obsoleszenz, die dazu geführt hat, dass der Receiver nur zwei Jahre gehalten hat, aber ein Transistoraustausch hat schon gereicht, um es wieder zum Laufen zu bringen.

 

mgzn rstkltr: Es geht also auch anders – man muss nicht wegschmeissen …

Valentin Thurn: Nein, im Gegenteil. Inzwischen repariert mein Sohn sogar sein Handy mit Hilfe von Youtube Videos – was aber ein bißchen mehr Zeitaufwand ist. Wenn ich sage, dass ich kein Essen wegschmeissen will, dann hat das was mit der Wertschätzung für Lebensmittel zu tun. Aber es hat auch etwas mit einer grundsätzlichen Wertschätzung für die Umwelt zu tun. Wir wissen, dass wir mit unserem Lebensstil Ressourcen verbrauchen, die weit über das gehen, was wir eigentlich dürften. Wenn wir da ein bißchen etwas tun können und uns dabei wohl fühlen, frage ich mich doch: Warum habe ich das nicht schon längst getan?

mgzn rstkltr: Kommen wir zurück auf den Film „Taste the Waste“. Viele Szenen in dem Film legen die Vermutung nahe, dass es nicht einfach gewesen sein dürfte, diese Bilder zu drehen. Gab es sehr viele Widerstände?

Valentin Thurn: Ja. Es war sehr, sehr schwer. Wir haben lange gesucht – deutsche Supermärkte haben kategorisch Nein gesagt und wollten nicht gefilmt werden, wie sie Sachen in die Tonne werfen. Wir haben aber zum Glück einen französischen Supermarktleiter gefunden, der uns die Aufnahmen erlaubt hat. Es ist ja auch vermeintlich schizophren: Er schmeißt jeden Tag Mengen weg und lässt uns das filmen, weil er das selbst so skandalös findet. Aber ich finde die Haltung sehr gut – es ist ein Anfang, dass man sich das bewusst macht und eben nicht schizophren. Es ist eine geteilte Verantwortung. Er kann nichts tun, wenn die Kunden nicht mitziehen. Er als Unternehmer ist ja nicht nur der Bösewicht und wir Verbraucher haben nichts damit zu tun. Deswegen ist es so wichtig, dass die Politik ein Klima schafft, damit die ganze Produktionskette ins Visier genommen wird. Aber zurück zu Deiner Frage: Viele der anderen der im Film gezeigten Szenen haben wir daher tatsächlich nur durch einen Überraschungsbesuch bekommen. Aber wenn man versucht über Pressestellen zu gehen, kriegt man eigentlich nur Neins.

Es hat etwas mit der Wertschätzung für Lebensmittel zu tun …

mgzn rstkltr: Wenn Du heute den Film nochmal drehen müsstest: Glaubst Du, es hätte sich in dieser Hinsicht etwas geändert?

Valentin Thurn: Ich weiß von Kollegen, die in letzter Zeit gedreht haben, die es ein bißchen leichter hatten, mit Bauern zu sprechen. Obwohl diese sich ja denken: „Da wird unser Berufsstand durch den Dreck gezogen“. Supermärkte und die Industrie haben aber nach wie vor eine sehr restriktive Tendenz und wissen, wie katastrophal diese Bilder auf Verbraucher wirken und wollen es deshalb auch nicht zulassen. Sie reden aber mittlerweile drüber, gehen in Talkshows und möchten gerne etwas tun, was ich sehr positiv finde. Aber es ist nachvollziehbar, dass sie diese Bilder nicht vermehren wollen.

mgzn rstkltr: Hatten einige Menschen Probleme damit, vor die Kamera zu treten? Ich denke jetzt an die Menschen, die containern müssen, weil ihnen schlichtweg nichts anderes übrig bleibt.

Valentin Thurn: Also, es gab durchaus Menschen, die sich geschämt haben – und zwar die tatsächlich Armen, deren Armut zum Beispiel dadurch sichtbar wird, dass sie sich bei den Tafeln in die Reihe stellen. Manche haben es explizit gesagt, dass sie es nicht wollen, aber auch die, denen ich das angesehen habe, sind nicht im Film zu sehen. Bei vielen Mülltauchern ist es oft eine Lebensstilfrage aber auch eine politische. Die, die wir gefilmt haben, waren politisch, hatten aber auch anfänglich Vorbehalte und sind am Anfang ein bißchen ängstlich gewesen. Auf das Thema bin ich übrigens während der Dreharbeiten zu unserer halbstündigen Dokumentation für das WDR „Gefundenes Fressen“ im Jahr 2007 gekommen. Damals haben alle Mülltaucher, bis auf einer gesagt: „Nicht mit vollem Namen!“. Denn schließlich ist es ja offiziell erst mal illegal. Inzwischen gibt es so viele, die mit vollem Namen in den Medien gewesen sind, dass die Verfahren eingestellt werden, falls sie dabei erwischt werden. Dazu hat auch stark Hanna Poddig beigetragen, die in Film zu sehen ist. Inzwischen muss man keine Angst mehr haben. Aber grundsätzlich schütze ich meine Protagonisten und gebe deren Namen nicht weiter, wenn sie es nicht wollen, klar.

mgzn rstkltr: Sind Zahlen bekannt, wie viele Armuts-Mülltaucher es wirklich gibt?

Valentin Thurn: Mülltaucher gibt es in jeder Stadt, aber es ist ganz schwer zu sagen, wie viele es wirklich gibt. Denn es ist immer noch illegal – man müsste sie ja Quasi an den Mülltonnen abfangen, das ist kompliziert zu recherchieren. Wenn man aber Mülltaucher, die mit ihrer Haltung Zeichen setzen wollen fragt, ob sie auch mit Armuts-Mülltauchern ins Gespräch kommen, ist oft zu hören, dass diese meist verhuscht und sich schämend nicht unbedingt sprechen wollen.

Eine geteilte Verantwortung“
Links: Lebensmittel auf einer Deponie, Rechts: Intakte Lebensmittel, die beim Containern gefunden wurden
©Fotos: Taste the Waste mit freundlicher Genehmigung Valentin Thurn

 

 

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