Müll, der sich sehen lässt

©mgzn rstkltr
RSTKLTR_SkulpturMuellSkulptur_03„Alle zehn Meter steht in den Frankfurter Wallanlagen eine Mülltonne – trotzdem liegt der Müll zielstrebig oft genau dazwischen auf der Wiese oder in den Gebüschen“, konstatiert Gabriele Juvan. Zusammen mit dem Historischen Museum Frankfurt/M., der Drogenhilfeeinrichtung FriedA und mit der Unterstützung des ehemaligen Frankfurter Müll-Sheriffs Peter Postleb sowie der Frankfurter Entsorgungsbetriebe (FFR) hat die Künstlerin nicht nur deshalb – aber auch deswegen – eine „wachsende“ Skulptur errichtet. Seit knapp drei Monaten ist in quadratischen Gitterboxen der Müll zu sehen, der sich in dieser Zeit in und an den umliegenden Mülltonnen angesammelt hat. Mit ihrer Installation möchte Juval aber auch jene Menschen in den Vordergrund stellen, die von Spaziergängern und Radfahrern nur selten wahrgenommen werden: Die Parkreiniger.


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Die Frankfurter Wallanlagen bilden einen Grünanlagenring, der sich um die Innenstadt legt und auf knapp 5,2 Kilometer zum Spazieren, Spielen und Fahrradfahren einlädt. Vom 18. Mai bis zum 21. September 2014 sind unter dem Motto „Stadtlabor park in progress“ aber auch 60 vom Historischen Museum Frankfurt vorgestellte Projekte zu sehen. Die Aufmerksamkeit der Parkbesucher wird dabei sowohl auf geschichtlich bedeutsame Kultur- und Baudenkmäler als auch auf partizipative Ausstellungsstücke unterschiedlichster Prägung gelenkt. Gelb-weiß gestreifte Infostelen machen auf die entsprechenden Beiträge aufmerksam und geben ausführliche Informationen zu den Exponaten. Unter anderem auch zu Projekt Nr. 47: „SkulpturMüllSkulptur“ der Offenbacher Künstlerin Gabriele Juvan. Quer über die Wiese verstreut geben quadratische Gitterboxen den Blick frei auf  sortenrein getrennte Papier- und Kunststoffreste sowie auf leere Getränkeflaschen und -dosen – Müll, der sich sehen und nicht ignorieren lässt. Hier häuft sich der Abfall, den Passanten auf Wegen, Wiesen und in den Büschen hinterlassen oder in den umliegenden Müllkörben deponieren. Gesammelt werden allerdings nur trockene Hinterlassenschaften, um keine Tiere anzulocken oder Gerüche zu verursachen. Rein rechnerisch könnte bis zum Abschluss des Projekts ein mittelgroßes  Zimmer bis zur Decke damit ausgefüllt werden.

 

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V.l.n.r: Toby, Gabriele Juvan, Stefan, Damir, Irene Meyer (Leitung der Integrativen Drogenhilfe e. V., Café FriedA)

Jeder Mensch: Ein Künstler
Gabriele Juvan stellt Kommunikation im öffentlichen Raum in den Mittelpunkt ihrer bislang zahlreichen Arbeiten, bei denen sie nicht selten eine Maxime Joseph Beuys‘ aufgreift: „Jeder Mensch ist ein Künstler (…)*“. Sichtbar gemacht hat sie mit ihrer Installation daher nicht nur die Abfallmengen, die sonst (von der Mehrheit der Parkbesucher weitgehend unbemerkt), von den Parkreinigern eingesammelt werden. Die Parkreiniger selbst sind gleichermaßen in den Vordergrund getreten. „Das können die Mitglieder vom Parkreinigungsteam bestätigen, die regelmäßig angesprochen werden, wenn sie die Gitterkörbe befüllen. Es gibt viele verwunderte Fragen, Lob, aber auch den einen oder anderen Passanten, der sich aufgeregt, klar“, so Juvan. Zusätzlich trägt die Wahl des Standortes dazu bei, einen gerne ausgeblendeten Problembereich unserer Gesellschaft auszuleuchten: Die für die Parkreinigung zuständigen Mitarbeiter stammen in diesem Teil des Parks von der Drogenhilfeeinrichtung FriedA. Diese befindet sich nur wenige Meter entfernt auf der anderen Straßenseite und dient – als eine der wenigen Einrichtungen in der Frankfurter Stadtmitte –Drogen- und Ex-Drogrenabhängigen als Anlauf- und Beratungsstelle.

Wenn das Projekt am 20. September im Rahmen einer Finissage schließlich abgeschlossen und der Müll von den Stadtwerken wieder zurück in den Abfallkreislauf gebracht wird, blickt vielleicht auch die Künstlerin zufrieden zurück. Und zwar dann, wenn es ihr gelungen sein sollte,  dass Menschen über den Müll im Park nachdenken – und ihn nicht sorglos hinterlassen oder sogar reduzieren.

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Stadtlabor Wallananlagen
  • Wer die „SkulpturMüllSkulptur“ sehen möchte, muss sich beeilen: Das Skulpturenensemble ist nur noch bis zum 20. September 2014 als Teilprojekt von „Stadtlabor park in progress“ in der Friedberger Anlage zu finden.
  • Weitere Informationen zu den aktuellen und zukünftigen Stadtlabor-Projekten: wallanlagen.stadtlabor-unterwegs.de
  • Kostenlose App zur Ausstellung: one.delius-books.de
  • Weitere Projekte der Künstlerin Gabriele Juvan im Internet: juvan.de
  • Website der Drogenhilfeeinrichtung FriedA: idh-frankfurt.de/frieda

*Wir geben weiter oben nur die gekürzte Fassung eines Joseph Beuys-Zitats wieder. In einem Interview  des Künstlers mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel aus dem Jahr 1984 sagte er (wir danken Frau Juvan für den ergänzenden Hinweis):

(…) Jeder Mensch ist ein Träger von Fähigkeiten, ein sich selbst bestimmendes Wesen, der Souverän schlechthin in unserer Zeit. Er ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Da, wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler. Ich sage nicht, daß dies bei der Malerei eher zur Kunst führt als beim Maschinenbau … (…)Joseph Beuys im Spiegel-Interview (08.06.1984)

©Fotos: mgzn-rstkltr/Parkreinigerteam: Mit freundlicher Genehmigung Sonja Thiel. Stand: Mitte August 2014

ME für magazin-restkultur.de | © Magazin für Restkultur 2014

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