
Zumindest der Anzahl der bislang auf Magazin für Restkultur vorgestellten Beiträge nach zu urteilen, die rund um den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung kreisen, tut sich vielerorts einiges. Eine Vielzahl kleinerer und größerer Initiativen trägt so zwar dazu bei, den Druck auf Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft zu erhöhen. Doch erlaubt sind Zweifel daran, ob mit diesen Teilmaßnahmen auch ein fundamentaler und langfristiger Wandel gelingen wird, mit dem zum Beispiel das europäische Ziel zur Halbierung der Lebensmittelverschwendung bis zum Jahr 2020, erreicht werden kann. Einigkeit besteht bei den meisten Akteuren allerdings darüber, dass die Bundesregierung und die Europäische Kommission zu unentschlossen auf dieses Ziel hinarbeiten. Zur Erinnerung: Die statistische Pro-Kopf-Verschwendung in Deutschland beläuft sich derzeit unverändert auf knapp 80 Kg Lebensmittel (ca. 800.000 Tonnen gesamt) im Jahr. Die Hilfsorganisation Misereor hat daher anlässlich des Welternährungstags 2015 einen 9 Punkte-Plan mit klaren Handlungsaufforderungen formuliert, mit denen sie sich nicht in erster Linie an den sogenannten Verbraucher richtet. Wir veröffentlichen mit freundlicher Unterstützung von Misereor eine leicht gekürzte Fassung dieses Forderungskatalogs – und ergänzen ihn um einen Punkt.
Misereor fordert:
1Ein Gesetz, das Supermärkten und anderen Lebensmittelhändlern das Wegwerfen von genießbaren Lebensmitteln verbietet und sie verpflichtet, diese Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen sowie an Kunden und Mitarbeiter/-innen abzugeben. Wenn die Qualität der Lebensmittel dafür unzureichend ist, sollten sie als Tierfutter weiterverwendet werden. Lebensmittel sollten nur kompostiert oder zu Biogas verwertet werden, wenn sie weder für Mensch noch Tier geeignet sind.
2Verpflichtung für alle Lebensmittelbranchen (Landwirtschaft, Industrie, Handel und Großverbraucher), ihre Abfallmengen zu dokumentieren. Derzeit stellt die Datenlage eine Grauzone dar. Um gegen die Lebensmittelverluste vorzugehen, müssen die konkreten Zahlen und Ursachen bekannt sein.
3Eine Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik ist nötig, um Lebensmittelverschwendung durch Überschussproduktion zu vermeiden.

4Verbindliche Zielvorgaben für Supermärkte und Lebensmittelhändler sind nötig, die diese verpflichten, ihre Lebensmittelüberschüsse bis 2020 um 50 Prozent zu reduzieren.
5Branchenspezifische Zielmarken zur Reduzierung der Lebensmittelverluste müssen mit dem Handel, dem Lebensmittelhandwerk (Bäckereien, Metzgereien, etc.) und Großverbrauchern vereinbart werden. Durch regelmäßige Veröffentlichungen der Fortschritte in der Vermeidung von Lebensmittelabfällen können Anreize für innovative Lösungen geschaffen werden, um das Angebot der Nachfrage anzupassen und Überangebote zu vermeiden.
6Damit Lebensmittel nicht vor ihrem Verfall aussortiert werden, sollte für gesundheitlich unproblematische Produkte das Mindesthaltbarkeitsdatum abgeschafft und durch ein Herstellungsdatum ersetzt werden.

7Öffentliche und private, von Handelsunternehmen erlassene Vermarktungsnormen, die Obst und Gemüse aufgrund ihrer Größe oder Form vom Verkauf ausschließen, müssen abgeschafft werden. Auch auf internationaler Ebene sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen.
8Einrichtung von weiteren Programmen der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit und Ausbau der Initiative „Zu gut für die Tonne“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, die Verbraucherinnen und Verbraucher über das Problem der Lebensmittelverschwendung informieren, für einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln sensibilisieren und Strategien zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen auf Haushaltsebene aufzeigen.
9Politische Rahmenbedingungen zur Stärkung regionaler Lebensmittelproduktions- und Vermarktungsstrukturen schaffen, die u.a. durch kürzere Transportwege einen relevanten Beitrag zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle leisten.

10Und: Natürlich muss auch auf privater Ebene nach wie vor gegen Lebensmittelverschwendung eingestanden werden!
©Fotos: Jakob Huber/Aktion Agrar