4,8 Millionen »Lego«-Steine über Bord …

©Lego lost at sea
[08|14] Wir schreiben das Jahr 1997: Die »Tokio Express« nimmt von Amsterdam aus Kurs auf New York und gerät vor der englischen Küste in einen schweren Sturm. Von einer riesigen Welle erfasst, bekommt der Frachter schließlich Schlagseite – knapp 60 von mehreren hundert Hochseecontainern werden von der Ladefläche in die Tiefen des Ärmelkanals gespült. In einem davon befinden sich rund 4,8 Millionen »Lego«-Teile …
Unser Titelbild zeigt eine Auswahl erst in jüngster Zeit zusammengetragener »Lego«-Steine
Unser Titelbild zeigt eine Auswahl erst in jüngster Zeit zusammengetragener »Lego«-Steine

Cornwall in den späten 1990ern
Tracey Williams lebt mit ihren Kindern zeitweilig an der malerischen Südküste Englands. Bei Strandspaziergängen findet sie dabei immer häufiger »Lego«-Teile. Wir wussten damals zwar nicht, wo genau sie herstammen, doch sicher war, dass sie von einer Havarie sein mussten“, sagt Tracey Williams im Gespräch mit Magazin für Restkultur. „Mit den Kindern haben wir regelrechte Schatzsuchen veranstaltet und hunderte, wenn nicht sogar tausende von »Lego«-Teilen dabei entdeckt!“, ergänzt sie. Im Jahr 2010 kehrt sie schließlich zurück an die Küste – diesmal nach Cornwall, wo sie sich regelmäßig an Strandreinigungsaktionen beteiligt. Erstaunt stellt sie fest, dass noch immer bunte »Lego«-Figuren an die Küste gespült werden. Längst ist klar, dass sie von der »Tokio Express« stammen müssen.

Von wissenschaftlichem Interesse
Seit Oktober 2013 dokumentiert Tracey Williams auf der Facebook-Seite Lego lost at sea den ständigen Zustrom der Spielzeugfiguren an die englischen Strände. Williams sieht darin auch einen Nutzen für Ozeanographen, die so Aufschlüsse über Meeresströmungen erhalten können. Und in der Tat: Der renommierte kalifornische Ozeanograph Dr. Curt Ebbesmeyer geht zusammen mit Tracey Williams den Wegen nach, die die Plastikfiguren  zurückgelegt haben. Eindeutig belegen ließe sich zwar nicht, dass auch vor der australischen Küste gefundenen »Lego«-Teile von der »Tokio Express« stammen – genauso wenig sei dies aber auch ganz auszuschließen. Ein Anliegen war es mir aber ebenfalls, auf die zunehmende Gefährdung der Meere und Meeresbewohner durch die Verschmutzung und Verhüllung aufmerksam zu machen, erklärt sie die zusätzliche Idee hinter der Facebook-Seite, die weit über 30.000 Fans hat. Denn: Die Verschmutzung der Meere durch Plastik- und Zivilisationsreste ist bekanntermaßen zu einer immer größeren Gefahr für Meeresbewohner geworden. Zahlreiche Fisch- und Vogelarten nehmen unverdauliche Kunststoffreste auf und verenden daran. Hinzu kommt, dass auch Weichmacher und andere Chemikalien nach und nach aus dem Plastik entweichen.

Ausgerechnet Seethemen
Einer gewissen Ironie entbehrt nicht, dass viele der »Lego«-Plastikfiguren, die die »Tokio Express« geladen hatte, ausgerechnet Seethemen wiedergeben. So finden sich neben zahlreichen Kunststoffbesen, -drachen oder -blümchen auch Taucherflossen, Rettungswesten, Harpunen und Tiefseekraken aus buntem Kunststoff. „Seitdem die Presse auf uns aufmerksam geworden ist“, sagt Tracey Williams, „erreichen uns immer mehr Fotos von »Lego«-Fundstücken, die wir nach und nach auf unserer Facebook-Seite zeigen“. Für Tracey Williams ist es aber zumindest eine gute Nachricht, dass noch keine dieser Kunststoffstücke in den Mägen von angestrandeten oder verendeten Tieren gefunden worden seien. Wie viele Teile bislang überhaupt angespült wurden, kann sie naturgemäß nicht sagen, doch es dürften mittlerweile Tausende sein, so ihre Schätzung. Unbekannt ist übrigens bis heute, was in den anderen 60 Hochseecontainern enthalten war, die von Bord der »Tokio Express« vor fast zwanzig Jahren gespült wurden.

Schon mehrfach hat Tracey versucht, mit einem »Lego«-Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen – doch ohne Erfolg. Nur gegenüber der BBC ließ eine Unternehmenssprecherin verlauten, dass „das, was da geschehen sei, natürlich sehr bedauerlich wäre, nichts aber mit Aktivitäten der Unternehmensgruppe zu tun habe“*.

 

Container über Bord
  • Der »Lego«-Container der »Tokio Express« enthielt unter anderem**: 13.000 rote und gelbe Harpunen // 4.200 Oktopusse // 26.600 gelbe Rettungswesten // 418.000 Paar Schwimmflossen // 33.941 Drachen in schwarz und grün // 26.400 Schiffstakelagen // 353.264 Blüten in weiß, rot und gelb) // 97.500 graue Unterwasseratemgeräte
  • Einer Schätzung des World Shipping Council zufolge dürften es Jahr für Jahr um die 2680 Frachtcontainer sein, die weltweit von Bord unterschiedlichster Frachter gehen.
  • Der bekannteste Containerinhalt sind wohl die knapp 29.000 Spielzeugtiere (darunter  viele gelbe Quietschenden), die im Jahr 1992 vom Frachter Ever Laurel in den Nordpazifik gespült wurden. Glück im Unglück: Noch heute werden Plastikentchen an die Küsten getrieben und geben Wissenschaftlern als sogenannte Friendly Floatees wichtige Anhaltspunkte zu Meeresströmungen. 


* siehe auch BBC-Artikel zu dem Thema: 
bbc.com
** Quelle: Beachcombers‘ Alert, vol 2. No 2 1997

 

©Fotos: Lego lost at sea mit freundlicher Genehmigung Tracey Williams

ME für magazin-restkultur.de | © Magazin für Restkultur 2014

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