Im Laufe unseres Gespräches ist deutlich geworden, dass Sie weder Antworten offen lassen noch kritische Fragen scheuen. Gibt es dennoch Aussagen, auf die Sie vielleicht keine eloquente Antwort parat halten?
Paech: (überlegt) Ja, die gibt es:Wenn mir jemand vorwirft, ich sei nicht nur ein Wachstums-, sondern auch ein Fortschritts- und Modernisierungskritiker, muss ich tatsächlich einräumen, dass dies stimmt.
In einer reduktiven Moderne, wie Sie sie vor Augen haben, wenden sich Menschen ja zunehmend der Regionalökonomie zu und reduzieren ihre Arbeitszeiten als unmittelbare Folge des damit einhergehenden industriellen Rückbaus. Kommen denn auch Sie heute schon auf ein Arbeitspensum von ca. knapp 20 Wochenstunden?
»Nicht jeder muss ja alles können – auch in urbaner Subsistenz sollte man sich auf das spezialisieren, was man kann und auf das man Lust hat.«
Paech: Nein, ich arbeite derzeit pro Woche knapp vierzig Stunden. Aber das Prinzip, das ich vorschlage, beruht ja nicht auf dem Rasenmäherprinzip, sondern auf dem Lebensdurchschnitt. Seit ich berufstätig bin, haben sich Zeiten intensiverer Beschäftigung mit Zeiten der Nichtbeschäftigung oder Teilzeit abgewechselt. Im Lebensdurchschnitt bin ich also gar nicht so weit von den 20 Stunden entfernt.
Selbstversorgung bildet ja einen der Kernpfeiler Ihrer Konsumdiät. Bleibt Ihnen denn selbst genug Zeit für Obst- und Gemüseanbau?
Paech: Für Gartenbau bin ich völlig ungeeignet. Ich bin eher der Reparateur und jemand, der Gemeinschaftsnutzungsmodelle organisiert. Nicht jeder muss ja alles können – auch in urbaner Subsistenz sollte man sich auf das spezialisieren, was man kann und auf das man Lust hat. In teilweise subsistenten Gesellschaftsmodellen, die ich empfehle, verschwindet die Spezialisierung nicht – sie wird aber entkommerzialisiert und materiell sowie räumlich eingehegt. Ich profitiere zum Beispiel von Menschen, die im Nahrungsmittelanbau und im Kochen viel besser sind als ich – dafür profitieren diese aber davon, dass ich Computer, Fahrräder und andere Sachen gut reparieren kann. Mein Vater ist Handwerker – was ich von ihm gelernt habe, geht auf keine Kuhhaut.
Und wo ist Niko Paech vielleicht nicht so vorbildhaft?
Paech: Ich trinke zu viel Kaffee, schalte zu oft den Rechner ein und sitze zu viel in der Bahn …
Welche drei Dinge kann und sollte denn Ihres Erachtens schon heute jeder tun, um sich in Richtung auf eine reduktive Moderne zuzubewegen?
»Jeder kann sofort mindestens eine Aktivität für sich erschließen, die dazu verhilft, Bedürfnisse ohne Geld und Industrieleistung zu vollführen.«
Paech:
Jeder Mensch kann sehr einfach seine individuelle CO2-Bilanz1 erstellen und gucken, wie weit er von den 2,7 Tonnen CO2 entfernt ist, die er – würde man die für die gesamte Weltbevölkerung zur Verfügung stehende Menge an CO2-Ausstößen gerecht verteilen– entfernt ist.
Jeder kann sofort mindestens eine Aktivität für sich erschließen, die dazu verhilft, Bedürfnisse ohne Geld und Industrieleistung zu vollführen.
Was jeder einzelne aber auch sofort tun kann, ist dort wo er lebt, Kontakte zu Menschen zu knüpfen, die in bestimmten postwachstumstauglichen Initiativen tätig sind. Urban gardening, Repair Cafés und Transition Towns sind nur einige davon.
Und – eine vierte Möglichkeit – ist es, sein Leben zu entrümpeln. Man kann sich einfach die Frage stellen, von welchen Dienstleistungen und industriegemachten Bequemlichkeiten und von welchen Konsumgütern man sich befreien kann, ohne dass es Verzicht ist.
Wir wollen uns nicht verabschieden, ohne zusammen mit Ihnen einen Blick in die Zukunft zu werfen. Also Herr Paech – wie geht es weiter?
Paech: Wir erleben gerade, dass Degrowth-, Postwachstums- und Decroissance-Bewegungen eine zumindest kleine Konjunktur – auch in den Medien – haben. Das ist erfreulich. Wir erleben aber auch, dass Krisenszenarien heraufziehen. Diese beiden Dinge in der Kombination eröffnen vielleicht ein historisches “Window of opportunity” in Richtung Postwachstum. Schrittmacher der weiteren Entwicklung moderner Konsumdemokratien werden leider die Eskalationen bleiben. Ich glaube, dass die nächsten Finanz- und Energiekrisen eine Chance bilden, mit Hilfe der Erfahrungen, die Postwachstumsaktivisten generiert haben, die Konsumdiktatur zu überwinden.
Wir Danken Prof. Dr. Niko Paech für das Gespräch.
Wir führten das Gespräch im Rahmen der Veranstaltung »Der Geist der Verschwendung – was kommt danach?« , die am 7. Mai 2015 im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt/M. stattfand. Wir danken Julia Quedzuweit für die Fotografien.
1Anm. d. Rdkt.: Siehe beispielsweise Co2-Rechner des WWF
Zur Person
NIKO PAECH
apl. Prof. Dr. Niko Paech (Jhrg. 1960), Schüttdorf
Gastprofessor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt („PUM“) der Universität Oldenburg
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