Konsum- und Wachstumskritik: Im Gespräch mit Niko Paech

Ausführliches Interview mit dem streitbaren Ökonomen

Magazin für Restkultur im Gespräch mit Niko Paech

»Wenn mir jemand vorwirft, ich sei nicht nur ein Wachstums-, sondern auch ein Fortschritts- und Modernisierungskritiker, muss ich tatsächlich einräumen, dass dies stimmt.«

– Niko Paech im Gespräch mit Magazin für Restkultur –

Aus seiner Kritik an vorherrschenden Wachstums- und Wirtschaftsmodellen macht der Ökonom Prof. Dr. Niko Paech keinen Hehl. Schon seit Jahren stellt der streitbare Volkswirt die ökologischen und sozialen Folgen, die unser Konsum- und Mobilitätsverhalten zu haben droht, in den Mittelpunkt zahlreicher Vorträge und Publikationen. Wir haben mit ihm über Probleme und Herausforderungen bei der Umsetzung seiner Postwachstumökonomie-Konzepte gesprochen, aber auch gefragt, wie viel Zeit er selbst beim Gemüse- und Obstbau verbringt.

Niko Paech und die Konsumdiät
In seinem 2012 erschienenen Buch »Befreiung vom Überfluss«  (oekom Verlag), aber auch in zahlreichen Vorträgen, stellt Niko Paech das Konzept einer sogenannten Konsumdiät in den Mittelpunkt möglicher alternativer Handlungsoptionen. Im Kern geht es dabei um ein vierstufiges Reduktionsprogramm, das es uns Menschen ermöglichen soll, genügsamer zu werden und uns im größeren Maße selbst zu versorgen. Eine ebenso große Rolle spielt dabei aber auch eine größere Hinwendung zur Regionalökonomie sowie der damit einhergehende industrielle Rückbau. Das Ziel: Eine größere Unabhängigkeit von globalen Handels- und Produktionsströmen sowie die Entkopplung von wachstumsgetriebenen Wirtschaftsmodellen, die uns und die Umwelt in zunehmend größere Bedrängnisse zu bringen drohen. Im folgenden Gespräch mit dem Autoren loten wir unterschiedliche Aspekte dieses Konzeptes aus.
 

Magazin für Restkultur: Ist die erfolgreiche Umsetzung Ihrer Ideen nicht stark von der sogenannten intrinsischen Motivation – also aus der Motivation heraus jedes Einzelnen – abhängig? Diese beruht ja nicht zuletzt auch auf einer grundsätzlichen intellektuellen Bereitschaft des Individuums …

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»Um Rebound-Effekte zu vermeiden, müssen wir auf soziale und nicht auf technische Innovationen setzen.«

Niko Paech: Ich hege als Wachstumskritiker nicht den Anspruch, dass postwachstumstaugliche Lebensstile derzeit mehrheitsfähig sein könnten. Ich ziele auf die Avantgardisten und Vorreiter, also auf diejenigen, die schon jetzt Experimente durchführen oder soziale Räume schaffen, in denen sie als Minderheit das Erfahrungswissen anhäufen, das dann später verallgemeinerbar und massentauglich werden könnte. Nämlich dann, wenn die nächsten Krisen unser Wohlstandsmodell sturmreif schießen. Daraus ergibt sich, dass nicht nur die intrinsische Motivation maßgeblich für den Wandel in Richtung Postwachstumsökonomie ist. Die neue Schicksalsabhängigkeit moderner Konsum- und Mobilitätsgesellschaften lässt uns absehbar keine andere Wahl, als auf externe Faktoren oder Krisenszenarien so zu reagieren, dass eine reduktive Zukunft resultiert. Ein weiterer Aspekt, der die Notwendigkeit intrinsischer Motive für postwachstumstaugliche Praktiken etwas relativiert, ist der Umstand, dass Menschen sich als soziale Wesen eben jenen sozialen Strukturen anpassen müssen, von denen sie abhängig sind. Wer sich nun in nachhaltigen Strukturen wiederfindet, folgt möglicherweise den damit korrespondierenden Handlungsmustern nicht intrinsisch motiviert, sondern um die soziale Anschlussfähigkeit nicht zu verlieren.

Welche Grundsteine müssten denn in einer Zukunft, die Ihnen vorschwebt, neu gelegt werden, um nicht erneut in Kategorien des Wirtschaftswachstums zu Lasten ganzer Ökosysteme zu verfallen oder um die heute immer wieder auftretenden Rebound-Effekte zu vermeiden?

Paech: Rebound-Effekte sind eine Folge des Eingehens von Modernisierungsrisiken; sie resultieren aus dem Befund, dass es auf einem endlichen Planeten unter Berücksichtigung der Thermodynamik keinen technischen Fortschritt zum ökologischen Nulltarif gibt. Indem zwecks Vermeidung unbequemer Reduktionsleistungen auf technische Innovationen gesetzt wird, erhöhen sich die Komplexität und Verflechtung industrieller Versorgungssysteme. So entstehen ständig neue Risiken, die sich schleichend oder unerwartet materialisieren. Um diese Effekte zu vermeiden, bedarf es einer Entschleunigung der Innovationsfrequenz und des Rückgriffs auf einfachere Technologien. Weiterhin ist ein kürzerer und somit überschaubarerer Aktionsradius des wirtschaftlichen und auch konsumptiven Handelns nötig. Neben den Innovationsrisiken drohen auch finanzielle Rebound-Effekte, nämlich Einkommenszuwächse infolge der Investitionen in Effizienz steigernde Technologien. Dagegen hilft nur, jegliches Wirtschaftswachstum zu vermeiden.

Die von Ihnen propagierte Konsumdiät sieht unter anderem die annähernde Verdoppelung der Nutzungszeit von Produkten vor. Sie gehen davon aus, dass damit eine Halbierung des dafür erforderlichen Produktionsausstoßes erreicht werden könnte. Verdoppeln wir damit aber nicht nur die Zeitspanne, bis zu der wir an den gleichen Punkt gelangen könnten, an dem wir heute schon sind?

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»Man kann dem Planeten durchaus auch etwas zumuten – auch als radikaler Wachstumskritiker will ich nicht zurück in die Steinzeit.«

Paech: Nein. Die ökologische Belastung bemisst sich an nichts anderem als an der Belastung pro Zeiteinheit. Die Teilsysteme der Erde verfügen in Abhängigkeit von den jeweiligen, sogenannten Eigenzeiten, über eine begrenzte Assimilationskapazität. Wir können unser modernes Dasein, das nicht zum ökologischen Nulltarif zu haben ist, nicht einfach ausradieren, sondern müssen es an die Systemzeiten der Erde anpassen. Also: pro Zeiteinheit nur so viel an Belastung produzieren, wie ohne Bestandsschädigung möglich ist. Das heißt, wir können dem Planeten durchaus auch etwas zumuten. Auch als radikaler Wachstumskritiker, der sich zu eigen macht, dass die Dosis das Gift macht, will ich nicht zurück in die Steinzeit, sondern die Belastung entschleunigen, also zeitlich strecken. Geht ganz einfach: Zeitabstände zwischen Mobilitäts- und Konsumaktivitäten verdoppeln bedeutet, die Belastung zu halbieren, ohne auf irgendetwas per se zu verzichten. Lässt sich sogar Kindern nahebringen. Alles hat eben seine Zeit.

Wenn schon Konsum, dann vielleicht also nur vermeintlich bessere Produkte? Kann hier das sogenannte Cradle to Cradle (C2C) vielleicht Auswege bieten? Immerhin verspricht ja das von Michael Braungart  ins Leben gerufene Konzept, dass problematische Reste im eigentlichen Sinne gar nicht erst entstehen …

Paech: Cradle to Cradle ist eine populäre Spielart des technizistischen Wunderglaubens an eine Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass-Lösung. Abgesehen von der grandiosen Überschätzung technischer Design-Lösungen, ist Cradle to Cradle total blind gegenüber einer Vielzahl ökologischer Probleme. Die Recyclierbarkeit von Materialien sagt ja nichts darüber aus, welchen Schaden wir dadurch anrichten, dass diese erst gewonnen werden müssen. Es ist weiterhin nicht auszuschließen, dass die Energieintensität der Versorgung steigt, wenn aufgrund geschlossener Kreisläufe noch mehr räumlich entgrenzte Arbeitsteilung und folglich zusätzliche logistische Konzepte notwendig würden. Die meisten Konsumbereiche widersetzen sich einer Anwendung des Cradle to Cradle-Prinzips. Würden deren Protagonisten etwas ehrlicher oder konsequenter sein, müssten sie zuvorderst eine Entrümpelung der Welt von allen nicht C2C-fähigen Artefakten fordern. Was dann herauskäme, wäre kein grünes Wachstum, sondern eine sehr bescheidene Welt.

Wenn Sie nicht selbst publizieren oder Vorträge halten, schreiben Sie auch das eine oder andere Vorwort. So zuletzt auch zu dem in diesem Jahr bei oekom veröffentlichten Buch des Wachstumskritikers Serge Latouche »Es reicht« . Darin lassen Sie offen, »ob eine Transformation in Richtung Degrowth auf politisch-institutioneller Ebene erfolgen muss oder ob nicht viele autonom eingeübte Suffizienz-Praktiken nötig sind, um die Wachstumsrücknahme in Bewegung zu setzen«. Sind nicht vielleicht sogar beide Akteure wichtig, die sich womöglich gegenseitig bedingen?

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»Die Party wird ein jähes Ende finden, wenn uns die Ressourcen ausgehen.«

Paech: Ich glaube, dass der erste Schritt einer endogenen Transformation  in Richtung Postwachstumsökonomie – also einer Transformation aus dem inneren des Systems heraus – darin bestehen müsste, dass eine hinreichende Anzahl von Individuen autonom postwachstumstaugliche Daseinsformen einübt und vorführt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass im zweiten Schritt die Angst der Politik vor einer Postwachstumspolitik überwunden wird. Die eiserne Logik moderner Politik besteht darin, Wählerstimmen durch glaubwürdige Wachstumsversprechen zu maximieren. Die gewählten Regierungen zeitgenössischer Konsumdemokratien sind nicht befähigt, der Wählermehrheit Reduktionen zuzumuten. Dies gilt umso mehr, als reduktive Anpassungen nicht nur voraussetzen, akzeptiert zu werden. Sie müssen gekonnt, also durch vorheriges Einüben praktiziert worden sein, sonst hält sie niemand aus. Erst wenn genug Menschen autonom oder in Gruppen eingeübt haben, ohne Flugreisen, mit weniger Fleisch, ohne Auto, ohne Einfamilienhaus zu leben und Konsumgüter durch eigene Reparatur doppelt so lange wie jetzt zu nutzen et cetera, kann die Politik den Mut haben, über institutionelle Wege derlei Praktiken zu etablieren. Der »Reiz« des grünen Wachstums liegt demgegenüber in dem verführerischen Versprechen, dass die Welt ohne Anspruchsreduktion zu retten ist. Kein Wunder, dass dieses Modell mehrheitsfähig ist.

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