
In Wien heißen unsere Kartoffeln „Erdäpfel“, Kleidung bringt man nicht in die Reinigung, sondern in die „Putzerei“. Dafür verwandelt sich unser Müll – auch der anorganische – bei unseren Nachbarn schlicht und ergreifend in „Mist“. Und mit dem „Mist“ hat es eine besondere Bewandtnis: Es ist nämlich undenkbar, dass ein Bewohner der österreichischen Hauptstadt seinen „Mist“ einfach von sich wirft. Nein, der Müll wandert fast ausnahmslos in eine der Tonnen, die in geringen Abständen voneinander aufgestellt das Stadtbild prägen. Ist eine Tonne voll oder droht sie überzulaufen, wählt man gehorsam das „Misttelefon“. Dann, so ist anzunehmen, rücken eifrige Entsorger an, die den Kreislauf zwischen zielgerichtetem Wegwerfen und zuverlässigem Abtransport wieder ins Lot bringen.
Da die Stadt ihre Konsumreste so nachdrücklich aus dem Blickfeld verbannt und die Bürger mit ganzjährigen Kampagnen – auch sichtbar auf den Mülltonnen selbst – zur Reinlichkeit erzieht, sind Straßen, Plätze und Gehsteige für deutsche Augen auffällig frei von Abfall. Um nicht zu sagen: blitzsauber. Eine angenehme Situation für Bewohner und Touristen, so scheint es. Ob das artige Zurseiteschieben zu einer produktiven Auseinandersetzung mit den eigenen Resten beiträgt, steht auf einem anderen Blatt.
Nichts gegen ein gepflegtes Stadtbild – und doch fühlt man sich an Adornos auf die Psychoanalyse gemünzten Ausspruch erinnert: „Wo es am hellsten ist, herrschen insgeheim die Fäkalien.“
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