Fünf Fragen … an Ines Rainer (Vorstand Foodsharing)

Wir haben Ines Rainer fünf Fragen rund um die Plattform foodsharing.de gestellt – und sie um eine Frage an uns gebeten.

Zur Person
INES RAINER
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  • Ines Rainer (28), Köln
  • Mitbegründerin und Vorstand von Foodsharing e.V. 
  • Reste sind für sie: kein Müll
    ©Foto: Mit freundlicher Genehmigung Ines Rainer
 
1. Seit wann gibt es die Foodsharing-Plattform Foodsharing.de und wer sind die Initiatoren?
 Die Webseite ist am 12.12.12 um 12.12 Uhr online gegangen. Aber die Idee dazu ist schon ein Jahr davor entstanden und kam witziger Weise von mehreren Leuten zur gleichen Zeit. Hauptberuflich arbeite ich ja bei einer Fernsehproduktionsfirma in Köln, bei der wir eine Sendung zum Thema Lebensmittelaufbewahrung vorbereitet haben. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich das erste Mal intensiver mit dem Thema der Lebensmittelverschwendung auseinandergesetzt und war schockiert über die Tatsache, dass jeder Deutsche 85 Kg Lebensmittel im Jahr in den Müll wirft. Noch krasser ist die Zahl einer aktuellen Studie die besagt, dass weltweit etwa die Hälfte der produzierten Lebensmittel in der Tonne landet. Vor diesem Hintergrund habe ich mich gefragt, warum es eigentlich zu Zeiten von carsharing und couchsurfing noch keine Plattform gibt, auf der man die Möglichkeit hat, Lebensmittelüberschüsse zu teilen und daher auch mit dem Gedanken gespielt eine Smartphone App zu entwickeln. Für die Sendung über Lebensmittelaufbewahrung hatten wir auch Valentin Thurn, den Regisseur des Dokumentarfilms Taste the Waste, als Experten eingeladen. Wir kamen ins Gespräch und als ich ihm die Grundzüge meiner Idee beschrieb, stellten wir fest, dass er ebenfalls an einer solchen Plattform arbeitete. Bereits einige Wochen später setzten wir uns mit mehreren Leuten an einen Tisch und arbeiteten die Idee aus. Dann ging eigentlich alles ganz schnell. Da wir keine finanziellen Mittel hatten, haben wir einen ehrenamtlichen Verein gegründet und eine Crowdfunding-Kampagne über Startnext gestartet, bei der die 12.000 € Startkapital zusammenkamen, mit denen wir dann die Programmierung der Website finanzieren konnten. 
2. Wie funktioniert Foodsharing?
Foodsharing.de ist eine kostenlose Online-Plattform. Privatpersonen, Händlern und Produzenten wird hier die Möglichkeit geboten, überschüssige Lebensmittel in der nahen Umgebung mit anderen zu teilen. Jeder kennt das Problem: Man fährt spontan in den Urlaub oder hat nach einer Feier noch viele Lebensmittel über und weiß nicht wohin damit. Auf Foodsharing.de hat man die Möglichkeit, ganz einfach einen Essenskorb mit den überschüssigen Lebensmitteln zu erstellen. Dieser kann dann von allen Mitgliedern gesehen werden. Ist man an einem Essenskorb interessiert, kann man den reservieren und sich zum Essensaustausch verabreden. Mittlerweile haben wir auch immer mehr „Fairteiler“. Das sind Kühlschränke oder Regale in öffentlichen Institutionen oder Geschäften. Hier kann jeder geben und nehmen, was grade da ist.
3. Lebensmittel für ca. 22 Milliarden Euro, die Jahr für Jahr in den Müll landen – wie groß wäre der Betrag, wenn es Foodsharing nicht gäbe?
Das ist schwer zu sagen, aber es sind mittlerweile schon knapp 30 Tonnen Lebensmittel, die wir vor dem Müll gerettet haben. Und das ist schon ein sehr guter Start. Aktuell wird die Plattform von über 33.000 Menschen genutzt und auf Facebook von knapp 45.000 geliked. Österreich und die Schweiz sind auch schon online. Das sind im Großen und Ganzen gesehen natürlich nur kleine Schritte, aber immerhin ein Anfang. 
4. Was kann jeder Einzelne tun, um die Verschwendung von Lebensmitteln zu vermeiden?
Zunächst sollte sich jeder über den ideellen Wert von Lebensmitteln bewusst werden. Von vielen Menschen wird Essen nur als reine Ware gesehen und entsprechend behandelt. Während auf vielen Teilen dieser Welt täglich Menschen verhungern, gehen wir einfach zu respektlos mit Essen um. Wir leben in einer konsumorientierten Überflussgesellschaft, in der das Bewusstsein für Nahrungsmittel unserer Großeltern, die zu Zeiten des Krieges aufgewachsen sind, fehlt. Wir leben spontan, haben wenig Zeit und haben auch in der Schule nichts über Ernährung oder Lebensmittel gelernt. Viele Großstädter bekommen nicht mal mehr mit, wie lange Kartoffeln zum Wachsen brauchen oder wie viel Arbeit, Kraft und Zeit es kostet, bis ein Huhn ein Ei legt. Viele Faktoren kommen hier zusammen und tragen dazu bei, dass wir unreflektiert konsumieren. Ich bin der Meinung, dass jeder im Alltag mit einfachen Mitteln der Lebensmittelverschwendung entgegen wirken kann:

1. beim Einkaufen genau überlegen, wie viel man wirklich braucht
2. im Vorfeld planen, wann man was essen/kochen will
3. lieber öfter kleine Mengen einkaufen als Großeinkäufe tätigen
4. die Lebensmittel richtig lagern

Und zu guter letzt ein ganz wichtiger Punkt: Der Irrglaube des Mindesthaltbarkeitsdatums. Hier sollte man auf seine eigenen Sinne vertrauen. Wenn das Lebensmittel nicht verschimmelt ist, komisch riecht oder schmeckt, kann man vieles noch ohne Probleme essen. Ein kleines Beispiel: Ich habe letztes Jahr im Dezember noch einen Joghurt gegessen, der mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum vom 17.07.2013 versehen war. Unglaublich, aber wahr und verdammt lecker. Und falls man trotzdem mal was über hat, kann man natürlich foodsharing nutzen oder sich ehrenamtlich für uns engagieren. 
5. Wünscht Du dir, dass es foodsharing.de irgendwann nicht mehr gibt, weil Eure Arbeit dann erfolgreich gewesen sein würde oder blickst Du eher skeptisch in die Zukunft?
 Das wäre natürlich wünschenswert, aber realistisch gesehen glaube ich, dass es leider immer Menschen geben wird, denen es besser und andere, denen es schlechter geht. Deshalb wird sich wahrscheinlich auch die Lebensmittelverschwendung nie vollständig verhindern lassen. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass sich die enorme Menge an verschwendeten Lebensmitteln reduzieren lässt. Da das Thema mittlerweile in den Medien sehr präsent ist, hat es schon viele Menschen erreicht. Langsam aber sicher findet auch ein Umdenken statt.

Ein anderes großes Problem sind die Verantwortlichkeiten. Denn es sind nicht nur wir Verbraucher schuld. Die Privathaushalte machen nur einen geringen Teil des Lebensmittelmülls aus. Auch die Lebensmittelproduzenten, die Händler und Supermärkte sowie die Politik stehen in der Verantwortung etwas zu verändern. Es fängt nämlich schon damit an, dass es viele Lebensmittel erst gar nicht in den Supermarkt schaffen, weil die Anforderungen des Handels so streng sind. Tomaten müssen einen bestimmten Rotton haben, Gurken dürfen nicht krumm sein und die Äpfel müssen perfekt aussehen. An dieser Stelle sind wir Verbraucher dann aber wieder gefragt. Muss immer alles so perfekt aussehen? Nein! Edeka und Rewe haben sich schon getraut und tatsächlich „hässliches“ Gemüse ins Sortiment aufgenommen. All das sind erste Schritte in die richtige Richtung. Über 2700 ehrenamtliche Helfer deutschlandweit unterstützen uns bei unserer Arbeit. Dieses enorme Interesse an dem Thema und die Bereitschaft des ehrenamtlichen Engagements machen mir Mut und motivieren mich, den Kampf für eine bessere Welt nicht aufzugeben. 
Die Frage an uns
Wann immer möglich, bitten wir in unseren Gesprächen auch um eine Frage an uns – und machen den Interviewten kurzerhand zum Interviewer. Was wollen unsere Gesprächspartner über Magazin für Restkultur erfahren? Vielleicht sind es ja die gleichen Dinge, die auch unsere Leser von uns gerne wissen möchten. Die bisher gestellten Fragen – und unsere Antworten – sind unter Fragen an uns zu finden.
Ines Rainer (Vorstand Foodsharing) fragt:
Mit wem habt ihr zuletzt Lebensmittel geteilt?
Ines, die Wahrheit ist, dass wir weder in letzter Zeit noch früher Lebensmittel geteilt haben. Fakt ist allerdings auch, dass wir seitdem wir uns mit dem Thema der Lebensmittelverschwendung befassen, sich auch bei uns eine Änderung unseres Verhaltens einstellt. Erst vor wenigen Tagen habe ich, da das Frischbrotregal leer war, darauf bestanden, Brot vom Vortag zu bekommen, das sonst weggeschmissen worden wäre.»Foodsharing, 1|2014«
 
Ines, wir Danken Dir für Deine Antworten und wünschen euch weiterhin viel Erfolg!

 

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