Für zwei Tüten Lebensmittel: Tafel Frankfurt im Selbstversuch

Zu Gast bei der Frankfurter Tafel

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Für zwei Tüten
Lebensmittel

[4|14] Als mich Ferdinand Hartmann eines freitags nachmittags im Januar mit einem kräftigen Handschlag verabschiedet, liegt ein ungewöhnlicher Tag und ein Tauchgang im Bahnhofsviertel Frankfurts hinter mir. Viele Frankfurter meiden zuweilen die Gegend – andere hingegen finden hier Drogen, käufliche Liebe und leider auch ein nicht immer ausreichendes Auskommen, weshalb sie mitunter auf die Frankfurter Tafel angewiesen sind. Hartmann ist nicht nur Inhaber des Chango, ein Tanzlokal in der Münchner Straße, sondern an diesem Morgen auch für die Organisation der Lebensmittelausgabe bei der Frankfurter Tafel zuständig. Im Rahmen unseres Schwerpunktthemas „Sind Lebensmittel Reste?“ haben wir die Lebensmittelausgabe besucht und ebenso aufmerksam wie zurückhaltend unseren Blick auch auf ein gravierendes Armutsphänomen unserer Zeit gerichtet.

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Knapp 250 Tafelkunden 

IMG_0620Um die zehn Tafelkunden warten bereits in der Hofeinfahrt, die zur Ausgabestelle führt, als ich mich um 11:30 Uhr in der Münchner Straße einfinde. Knapp 250 Menschen werden es im Laufe des Tages gewesen sein, die hier für kostenlose Lebensmittel angestanden haben werden, wie ich im Vorfeld von Edith Kleber erfahren habe. Kleber leitet seit knapp 20 Jahren die Frankfurter Tafel und ist freundlicherweise meiner Bitte nachgekommen, einen Vormittag lang der Ausgabe beiwohnen zu dürfen. In dem Lokal, das am Abend seine Türen für Liebhaber südamerikanischer Rhythmen öffnen wird , ist es der Frankfurter Tafel nach langer Suche gelungen, einen Ort zu finden, an dem die Lebensmittelausgabe in dieser nicht ganz krisenfreien Zone durchgeführt werden kann. „Weil ich es selbstverständlich finde, diesen Beitrag zu leisten“, wird mir Ferdinand Hartmann später erklären, dem es ein Herzensanliegen ist, die Räume seines Tanzlokals der Frankfurter Tafel zur Verfügung zu stellen.

Pünktlich um 12:00 Uhr beginnt schließlich die Lebensmittelausgabe und ich stelle mich in die Reihe der wartenden Menschen. Anders als die regulären Tafelkunden muss ich Ferdinand Hartmann oder einem Mitarbeiter der Tafel nicht den Frankfurt Pass vorlegen, der mich als Geringverdiener ausweisen würde. Die Beiden sorgen übrigens nicht nur dafür, dass Berechtigte Einlass finden, sondern dass die Stimmung bis zu einem gewissen Punkt als ausgelassen beschrieben werden könnte.  Bei der Ausgabe der Lebensmittel gibt es eine klare Reihenfolge: Vorrang haben stets Mitarbeiter des Pflegedienstes, die Lebensmittel für ebenfalls sozial und nicht bewegungsfähige Benachteiligte abholen werden. Dann folgen Familien mit Kindern und ganz am Schluss schließlich die sonstigen Bedürftigen. In Gruppen von je drei werden die Tafelkunden nach und nach vorgelassen und reichen ihre mitgebrachten Tüten den Mitarbeitern der Tafel, die diese mit Lebensmitteln füllen.

Mit zwei sauberen Plastiktüten

IMG_0618Zu den Vorbereitungen an diesem Tag gehörte es auch, mich mit zwei „sauberen Plastiktüten“ auszustatten, in die die Tafelmitarbeiter die Lebensmittel einpacken würden. Nun bin ich in an der Reihe und reiche diese über die improvisierte Theke. Dabei werfe ich einen ersten Blick in das Innere der Essensausgabe. Später werde ich zwar auch auf die zur Essenskammer umgenutzte  Tanzfläche des Lokals dürfen, doch noch stehe ich auf der anderen Tafelseite. Mein Blick fällt auf unzählige Kisten mit Obst, Gemüse, Brot und Konserven. „Und das sind alles Lebensmittel, die sonst weg geschmissen worden wären?“ frage ich mich. Nur wenige Augenblicke später – der Andrang ist groß – erhalte ich meine Tüten bis an den Rand gefüllt mit Gemüse, Brot und Fertiggerichten zurück. Doch die Frage nach den Resten ist längst der Frage gewichen, wie es sein muss, alle 14 Tage für zwei Tüten Lebensmittel hier anzustehen.

„Die Hofeinfahrt haben wir neu streichen und überdachen lassen“, beschreibt Hartmann später seine Versuche, es den Menschen hier im Rahmen des möglichen angenehmer zu gestalten. Denn – soviel steht fest: Es bereite niemandem Vergnügen, Tafelkunde zu sein.  Einen ebenso großen Beitrag leisten die knapp 10 ehrenamtlichen Helfer, die an diesem Vormittag alle Hände voll zu tun haben und freundlich und zuvorkommend auf die Klienten eingehen. Meine Gedanken: Schließlich aber sind und bleiben es doch „Reste“, die hier an Menschen ausgegeben werden, oder? Sicher: Supermärkte leisten eine Riesenunterstützung. Doch: Es sind und bleiben Lebensmittel, die dem Verwertungskreislauf entzogen werden und manchem Supermarkt zur kostengünstigeren Entsorgung vermeintlich nicht mehr verwertbarer Lebensmittel verhelfen, wie leider konstatiert werden muss. Was also der eine Teil unserer Gesellschaft übrig lässt oder für nicht kauf- oder verkaufswürdig hält, wird den „Armen“ und randständigen gegeben. Menschen also, die in irgendeiner Weise durch die Maschen unseres Sozialsystems fallen. Und – zumindest in Frankfurt – besteht keine wirkliche Wahlfreiheit: Ausgegeben werden kann ja schließlich nur das, was auch da ist. Werden alle Lebensmittel denn auch benötigt oder entsprechen sie überhaupt den Ernährungs- und Kochgewohnheiten der Bedürftigen?

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