– Michael Schieferstein im Gespräch mit Magazin für Restkultur –
Vom 1. Mai bis zum 31. Oktober findet in Mailand die Expo 2015 statt. Das Motto der sechsmonatigen Veranstaltung: »Feeding the Planet, Energy for Life«. Auf knapp 200 Hektar Ausstellungsfläche stellen 148 Länder ihre Ideen dazu vor, wie das Recht aller Menschen auf gesunde und ausreichende Ernährung verwirklicht werden kann. »Fields of Ideas« ist der deutsche Beitrag überschrieben, mit dem Vorschläge aus Politik und Wirtschaft – aber auch der Zivilgesellschaft – in die öffentliche Wahrnehmung gerückt werden sollen. Hierfür zeigen unter anderem auch sechs Themenbotschafter mit beispielhaften Initiativen aus der Praxis ihren wertschätzenden Umgang mit Natur und Ressourcen auf. Zum Vertreter des Themenschwerpunkts »Lebensmittel« ist der Aktivist und FoodFighter Michael Schieferstein ernannt worden. Wir haben kurz vor Beginn der Expo mit ihm gesprochen – und kommen mit ihm zum Abschluss der Veranstaltung erneut ins Gespräch.
1Michael, wie kam es dazu, dass Du Botschafter bei der Expo 2015 in Mailand geworden bist?
Die Bundesregierung hat ja schon vor ungefähr drei Jahren damit begonnen, das Konzept für die Expo vorzubereiten. Dafür wurden Experten rund um das Thema »Wie sieht die Ernährung der Zukunft aus?« und Gesichter gesucht, die für diese Idee einstehen. Seit knapp drei Jahren bin ich mit meinen FoodFighters ja einfach nicht mehr wegzudenken bei dem Einsatz für die Rettung von Lebensmitteln und einer gesunden Ernährung und wurde daher – neben fünf anderen Botschaftern – ebenfalls zum Gesicht der Expo gekürt.
2Worin bestehen Deine Aufgaben als Expo-Botschafter?
Hauptsächlich werde ich das Gesicht zum Thema Lebensmittel und Konsum sein und dabei 148 Länder erreichen. Es wird ja damit gerechnet, dass im Deutschen Pavillon um die 16.000 Besucher täglich zu Besuch sein werden. In einer Multimedia-Installation haben diese dann die Gelegenheit mehr über mein aktuelles Schulprojekt und meine Kochshows zu erfahren. Dabei ist es mir wichtig, die zwei Seiten zu zeigen: Die Lebensmittelverschwendung, die ich mit meinen Kochshows anprangere, aber auch mein Schulprojekt, bei dem ich versuche Kinder und Jugendliche – also die zukünftigen Verbraucher – an mehr Lebensmittelwertschätzung und eine gesunde Ernährung heranzuführen. Obwohl die Expo noch gar nicht angefangen hat, merke ich, dass es schon jetzt überall in Europa Interesse daran gibt. Aber ob vor Ort auch Kochshows gemacht werden können, steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider noch nicht fest und organisatorisch ist es schwer, gerettete Lebensmittel auf der Expo einzusetzen.
Michael Schieferstein und sein Schulprojekt
Das besondere Schulprojekt: »Heute lernen wir Lebensmittelwertschätzung«
[9|14] In den meisten Bundesländern neigen sich die Schulferien ihrem Ende entgegen. Die Freude von Kindern und Jugendlichen hält sich naturgemäß in überschaubaren Grenzen. Mit strahlenden Augen hingegen blicken die Viertklässler der Goetheschule in Mainz möglicherweise ihrem ersten Schultag entgegen: Wie schon im vergangen Schuljahr wird hier nicht nur ein besonderer Unterricht erteilt – auch der Dozent fällt aus der Reihe.
Für Michael Schieferstein steht fest: Wenn Kinder von klein auf den richtigen Umgang mit Lebensmitteln erlernen, werden sie im Erwachsenenalter achtsamer mit ihnen umgehen. Der Mainzer Koch und engagierte Lebensmittelretter setzt daher nicht nur Zeichen als FoodFighter – er steht auch in diesem Schuljahr in der Schulküche der Goetheschule in Mainz an den Töpfen. Einmal in der Woche bringt er hier den Kleinen bei, wie sich aus Paprika, Gurke, Salat und Co. schmackhafte und gesunde Speisen zubereiten lassen. Die zum Teil aus sozialen Brennpunkten stammenden Schüler lernen dabei nicht nur Schiefersteins „ABC der Lebensmittelwertschätzung“ kennen. Sie stellen dabei außerdem fest, dass sowohl die Arbeit am Herd als auch das gemeinsame Zubereiten und anschließende Verspeisen der aus ökologischem Anbau stammenden Lebensmittel großen Spaß machen kann. Im Vordergrund des Kochunterrichts steht aber ebenfalls die gesunde Ernährung der Kinder und dass sie lernen ihre Sinnesorgane einzusetzen. Ob der Wunsch Michael Schiefersteins in Erfüllung geht, das Projekt auch bundesweit zu etablieren, ist bislang unklar. Doch einen ganz praktischen Nebeneffekt hat sein Schulprojekt schon heute: Kinder schreiben auf den Einkaufszettel ihrer Eltern auch wieder so schwere Worte wie „Sukini“ – wohlgemerkt richtig!
Veranstaltungstipp: 3. Hessischer Tag der Nachhaltigkeit
Live zu erleben sind Michael Schieferstein und seine FoodFighters am 17. September 2014 in Wiesbaden. Von 12:00 bis 15:00 Uhr machen sie mit ihrer öffentlichen Kochaktion „Essen retten – nachhaltig genießen“ auf die grassierende Lebensmittelverschwendung aufmerksam. Besucher sind zum kostenlosen Mitessen der aus geretteten Lebensmitteln zubereiteten Speisen eingeladen. Weitere Informationen: foodfighters.biz
3Wie stehst Du denn generell dem Projekt Expo 2015 gegenüber?
Momentan bin ich noch ein bisschen skeptisch. Der Deutsche Pavillon möchte ja doch eher eine positive Ausstrahlung haben »seht her, alles super hier!« — aber so schön ist es ja nun mal nicht. Wenn es aber richtig aufgezogen wird, bin ich der Überzeugung, dass Deutschland Vorreiter sein könnte in Sachen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln – obwohl wir momentan ja eher Drittland sind, was Lebensmittelverschwendung angeht. Wichtig wäre ja auch, dass von der Expo etwas auf die Entscheider in Politik und Wirtschaft ausstrahlt, damit endlich etwas passiert. Nur als Beispiel: Ich habe erst am vergangenen Wochenende wieder Tonnen von Lebensmittel gerettet – während die Tafeln in Mainz kaum noch Essen für Bedürftige haben. Hier würden Gesetze helfen, die es dem Handel verbieten, Lebensmittel wegzuschmeißen. Die Bundes- und Landesregierungen sind gefragt. Für viele Unternehmer ist es billiger wegzuschmeißen, als es preislich reduziert rauszugeben, weil ja dann die Leute vielleicht weniger kaufen. Ein Teufelskreislauf.
4Was glaubst Du, wirst du auch tatsächlich bewegen können?
Auf jeden Fall werde ich die Gelegenheit nutzen, um hoffentlich mit dem Bundespräsidenten ins Gespräch zu kommen, der am 18. Juli auf der Expo sein wird. Außerdem werde ich auf wichtige Vertreter aus Politik und Wirtschaft treffen, mit denen ich mich austauschen kann und die ich auf die gravierenden Probleme aufmerksam machen werde. Ganz klar: Ich bin zwar ehrenamtlicher Botschafter, aber ich lass mich da gar nicht einschüchtern und werde meinen Standpunkt vertreten. Ich versuche soviele Menschen wie möglich zu erreichen und werde in Mailand ganz klare Schwerpunkte setzen. Die Lebensmittelverschwendung, das Schulprojekt und natürlich das Thema Massentierhaltung – die übrigens einfach abgeschafft gehört – sind mir ganz große Anliegen. Artenvielfalt und nicht nur Mais auf den Feldern ist wichtig und natürlich, dass schon Kinder und Heranwachsende einen anderen Bezug zur Ernährung bekommen! Ich hoffe, dass ich etwas in dieser Richtung bewegen kann und überall aus der Welt Zuspruch dazu bekomme. Nicht nur flitzen, sondern auch wirklich etwas tun! Natürlich hoffe ich darauf, dass das FoodFighters-Projekt möglicherweise Unterstützung durch die EU erfährt und das Schulprojekt sogar Europaweit einführt. Aber schon jetzt können Freiwillige bei uns mitmachen und sich einbringen – jeder ist herzlich Willkommen!
Die FoodFighters bei einer Kochshow in Wiesbaden
FoodFighters: 12 Tonnen Lebensmittel gerettet – doch was dann?
DIREKT VOR ORT | STANDPUNKT
Wenn der heutige 3. Hessische Tag der Nachhaltigkeit in Wiesbaden zu Ende geht, werden die FoodFighters rund um Michael Schieferstein laut eigener Aussage 12 Tonnen Lebensmittel verkocht und kostenlos an die zahlreichen Besucher abgegeben haben. Ob der während der letzten Veranstaltung aufgestellte Rekord von knapp 3.000 Mahlzeiten noch übertroffen werden kann, ist dabei nur eine Randnotiz, die das Ausmaß des Problems aber überdeutlich macht: Die Verschwendung und Vernichtung von Lebensmitteln in Deutschland hat unerträgliche Ausmaße angenommen. Wohlgemerkt: Die in Wiesbaden verkochten Lebensmittelüberschüsse stammen allesamt aus dem Lebensmitteleinzel- und Großhandel sowie von landwirtschaftlichen Betrieben. Wir waren bei der Kochshow zu Besuch und sind jedoch mit der Frage wieder zurückgekehrt: Was dann? Morgen schließlich – wenn die Aufmerksamkeit der zahlreich erschienenen Medien abgeklungen sein wird, geht das Wegschmeißen ja unvermindert weiter. Vielleicht hat aber die hessische Umweltministerin Priska Hinz, die mit an den Töpfen stand, Antworten darauf gehabt, Michael?
5Zum Schluss Michael: Michael Schieferstein schwarz gekleidet und mit Sonnenbrille, so wie er auch bei den Kochshows sonst zu sehen ist?
(lacht) Ja, klar – das ist mein Markenzeichen! Wenn ich auftreten sollte – was ich hoffe – wird man mich natürlich mit schwarzer Kluft und mit Sonnenbrille zu sehen …
Wir danken Michael Schieferstein für das Gespräch. Zum Abschluss der Expo lassen wir Schieferstein ein weiteres Mal über seine Eindrücke und Erfahrungen in Mailand zu Wort kommen. Ein ZDF Kurzfilm rund um die Expo und zu Michael Schiefersteins Einsatz dort ist unter presseportal.de zu sehen.
Zur Person
MICHAEL SCHIEFERSTEIN, FoodFighter
Michael Schieferstein (47), Mainz
Küchenmeister, Buchautor, Koch und Gründer der FoodFighter-Bewegung
Initiator des Schulprojekts »ABCs der Lebensmittelwertschätzung«
Neben Michael Schieferstein sind weitere fünf Botschafter benannt worden, die »die vielen Ideen und Initiativen der Zivilgesellschaft zeigen sollen«. Sie repräsentieren die Themenfelder Wasser (Benjamin Adrion, Gründer von „Viva con Agua“), Boden (Biobauer Josef Braun) aus Freising, Klima (Felix Finkbeiner und Franziska Funk, „Plant-for-the-Planet“) sowie Artenvielfalt (Eckart Brandt, „Boomgarden Helmste). Als zusätzliches Projekt im „Garten der Ideen“ stellt Erika Mayr aus Berlin die Stadtbienen vor. Weitere Informationen rund um die Expo 2015 in Mailand unter expo2015-germany.de sowie unter expo2015.org (en/it/fr).
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