»Ecosystem of Excess«: Portrait eines Plastik-Ökosystems

Fünf Fragen an ... Pinar Yoldas | five questions to ... Pinar Yoldas

»Pazifische Ballonschildkröte«. |"pacific ballon Turtle".

»Ich erstelle das Porträt einer Zukunft, in der Plastik zu einem eigenen Ökosystem führt und das voller Organismen ist, die davon leben. «
»I portray a future where plastics leads to its own ecosystem, full of organisms that live off of plastics.«

– Pinar Yoldas im Gespräch mit Magazin für Restkultur –

 

Plastikmüll in den Weltmeeren bedroht maritime Lebensräume. So weit so unstrittig. Wie aber verändert sich unsere Wahrnehmung und welche Perspektive nehmen wir ein, wenn die auch als »Great Garbage Patches« bekannten Müllteppiche die Gestalt eigenständiger Ökosysteme annehmen würden? Und was wäre, so eine weitere Überlegung, wenn diesen neue biologische Gattungen entwüchsen? Zu diesen Gedankenexperimenten, denen die »Ursuppen-Theorie« zugrunde liegt, lädt uns die in den USA lebende türkischstämmige Künstlerin Pinar Yoldas ein, der wir fünf Fragen rund um ihre Arbeit »Ecosystem of Excess« gestellt haben. Plastic waste in the ocean threatens the maritime environment – that is clear. But how does our perception change and what perspective do we take if the masses of waste called „Great Garbage Patch“ would take the form of new independent ecosystems? And what would be, if these new-formed ecosystems would let grew new biological species? Pinar Yoldas, a Turkish artist based in the USA, invites to think about this questions by transforming waste into invented new ecosystems. We have asked her five questions about her work „Ecosystem of Excess“.

 

1. »Ecosystem of Excess« bricht mit der möglichen Erwartung des Betrachters, es beim Thema »Great Pacific Garbage Patch« mit schockierenden Bildern verendeter Tiere zu tun zu bekommen. War genau dies deine Absicht – und besteht darin nicht ein gewisses Risiko, dass das Problem damit verharmlost werden könnte? »Es ist ja alles so schön hier … « „Ecosystem of Excess“ interrupts with the possible expectation of the viewer to have to deal with shocking images of dead animals because of the „Great Pacific Garbage Patch“. Was that exactly your intention and do you see this also as potentially risk that the issue could be played down? „Everything is so beautiful here …“

Bei »Ecosystem of Excess« handelt es sich ja nicht um eine Dokumentation im herkömmlichen Sinne. Mein Ziel ist es nicht, dem Rest der Welt verendende Wale, verwirrte Delphine, Schildkröten oder sich in Schmerzen windende Albatros-Küken zu zeigen, deren kleine Mägen voller Plastikteile sind. Es gibt Künstler, wie zum Beispiel Chris Jordan in seiner Dokumentation »Midway«, die das viel besser können. Ich bin kein Fotograf, der den aktuellen Augenblick mit Fotos von Tieren auf hoher See einfängt und diese zeigt. Meine Arbeit denkt sich Leben aus. Ich erstelle das Portrait einer Zukunft, in der Plastik zu einem eigenen Ökosystem führt und das voller Organismen ist, die von Plastik leben. Die Schönheit dieser Arbeit hat nichts damit zu tun, dass ich die Grausamkeit der Plastikverschmutzung herunterspielen will – unterstreichen möchte ich aber die Schönheit lebender Materie. Eine neue Insektenart, die aus Plastik entsteht – schau, wie schön sie ist … dass das Leben an sich Schönheit erschafft, das ist mein Ansatz. »Ecosystem« of Excess is not a documentary in the conventional sense. My goal ist not to show the rest of the world pictures of dying whales, tangled dolphins, crooked sea turtles or albatros chicks in pain, their tiny stomachs stuffed with plastics. There are artists who does this far better than I do, such as Chris Jordan, and his documentary „Midway„. I am not a photographer that captures the current moment, such as photons reflected back from surfaces of pelagic death, from skins of these animals. My work imagines life. I portray a future where plastics leads to its own ecosystem, full of organisms that live off of plastics. The beauty of the work is not about playing down the cruelty of plastic pollution but to emphasize the beauty of living matter. A new insect that emerges out of plastics, look how beautiful it is … that’s my point, that life itself creates beauty.

2. Fürchtest du dich gewissermaßen vor den von dir kreierten Geschöpfen oder faszinieren sie dich eher? Und: gibt es »Lieblinge«, die du besonders magst? Do your creatures also fear yourself or are you charmed about them? And: are there „favorites“ that you particularly like?

Ich liebe meine Kreaturen! Meine Lieblinge sind die »Pantone birds«, die sich farblich verändernden Eier und natürlich die »pazifische Ballonschildkröte«. Aber ich mag sie alle. I love my creatures! My favorites are pantone birds, color changing eggs and of course the pacific ballon Turtle. But I like them all.

3. Wie fallen die Reaktionen auf »Ecosystem of Excess« aus? Sind die Menschen sowohl begeistert als auch schockiert? What kind of reactions did you get so far? Are people both thrilled and also shocked?

Nein, bislang habe ich noch niemanden gesehen, der schockiert gewesen ist. Ich sehe Neugier in den Augen der Menschen und das ist etwas schönes! I haven’t seen anyone shocked. I see curiosity in people’s eyes which is great!

4. Macht Dich Umweltverschmutzung  jenseits deiner eigenen Arbeit dennoch betroffen? Does the pollution of habitats – beyond your artistic work – makes you concerned nevertheless ?

Ich leide unter dem, was Psychotherapeuten in den USA als Angststörung bezeichnen würden. Ich stelle das in Frage, was wir essen, unsere Fortbewegungsmittel, die Art und Weise, wie wir unsere Häuser dekorieren und unsere Körper schmücken. Nachdem ich einen Haufen von Büchern rund um Plastikverschmutzung gelesen habe, zögere ich umso mehr aus Plastikflaschen zu trinken, Essen zu kaufen, das in Plastik verpackt ist oder Kleidung aus Kunstfasern zu tragen. Ich muss also sagen, dass ich zunehmend bewusster geworden bin. Aber die Umweltverschmutzung hört ja nicht an dieser Stelle auf, Plastik ist ja derzeit nur der Anfang. Mich macht die Luft- und Wasserqualität oder die Bodenerosion ebenso betroffen. Ökosysteme überall auf der Welt sehen sich menschengemachten Belastungen ausgesetzt. Ich hoffe mein Leben auf eine Art leben zu können, die etwas daran ändert. I have what psychotherapists in the States would call „anxiety problems.“ I question the way we buy our food, the way we transport, the way we decorate our houses and adorn our bodies. Of course after reading a ton of books on plastic pollution, I now hesitate twice to drink from a plastic bottle, or buy food wrapped in plastics, or wear plastic clothing. So I have to say that I became more aware. But pollution doesn’t end there, it actually just starts with plastics. I am also concerned about air quality, water quality, soil depletion. Ecosystems all across the globe are under an anthropogenic stress. I hope to live my life in a way that changes this.

5. Zum Schluss, Pinar: Wo ist »Ecosystem of Excess« derzeit und in Zukunft zu sehen? Finally, Pinar: Where „Ecosystem of Excess“ could currently and in the future be seen?

Zur Zeit sind die Exponate als Teil der »ExoEvolution«-Ausstellung im ZKM Karlsruhe zu sehen. Außerdem bin ich ebenfalls im Moskauer Polytechnik-Museum sowie im Mai und April im Museum für bildende Künste in Taiwan sowie um die gleiche Zeit auch im »Bozar« in Brüssel zu sehen. The exhibition is on display at ZKM Karlsruhe as part of their »ExoEvolution« exhibition and also on display in Moscow Polytechnic Museum if you’re headed to Russia. It will be shown in Taiwan Museum of Fine Arts this April and May, as well as »Bozar« in Belgium around the same time.

©Fotos: Mit freundlicher Genehmigung/Courtesy of Pinar Yoldas, Ernst Schering Foundation

Zur Person
PINAR YOLDAS
RSTKTR-Pinar-Yoldas
    • Pinar Yoldas, Türkei, lebt in den USA
  • Architektin, bildende Künstlerin, Autorin
  • Das arte-Magazin »Tracks« zu Pinar Yoldas: »In ihrer Arbeit löscht Pinar Yoldas die Menschheit aus – zumindest hypothetisch. Denn die Menschen sind kein Teil ihrer Kunst-Utopie. Aber keine Sorge: Bevor die Menschheit sich selber ausrottet, mutiert sie noch. Zumindest wenn es nach Pinar Yoldas geht.« 
    Weitere Informationen/Werkschau: pinaryoldas.info
    ©Foto:Privat

Wie definieren unsere Gesprächspartner eigentlich Reste? Genau das wollen wir auch wissen und bitten sie daher stets den Satz „Reste sind für mich …“ zu vervollständigen. Mal fallen die Aussagen ironisch, mal sachlich oder aber auch vehement aus – der Rest selbst hat zahlreiche Auslegungsformen. Die Zitate lassen wir, chronologisch sortiert, in unserer Rubrik „Reste sind für mich:“ für sich sprechen (ein Klick auf den Personennamen führt, sofern vorhanden, zu dem entsprechenden Beitrag auf Magazin für Restkultur). Ach, und … Reste sind für Dich? Hinterlasse dazu einfach einen Kommentar!
Das türkische Word für Reste ist »Artik«. Ich habe dieses Wort gewählt, um eine andere kulturelle Perspektive darauf zu bieten, was Überbleibsel bedeuten können. »Artik« schließt, anders als Rest, auch Anhäufen und Ergänzen ein. »Artik« meint »mehr«. Artik stellt gewissermaßen also die Frage, ob es überhaupt irgendwelche Reste gibt. Es hat eine positive Bedeutung; der Rest ist das Zusätzliche, vielleicht das, was für den nächsten Arbeitsschritt bleibt. Wenn wir das Wort »Artik« in Bezug zu Lebensmitteln setzen, bedeutet es sinngemäß, dass jeder gegessen hat und gesättigt ist – und dass wir diesen Rest »Artik« für die nächste Mahlzeit haben. Wir könnten uns ja dafür entscheiden, das Potenzial auszuschöpfen, das Resten innewohnt – so wie es die Schöpfer der türkischen Sprache auch getan haben.  The word for leftover in Turkish is „artik“. I am choosing this word to give a different cultural perspective on what leftover means. Instead of that which is left, artik implies accumulation and adding. Artik means plus. Artik means: are there any leftovers?  It does have a positive tone to it, the leftover is the extra, additional probably for the next process. And if we think about it in the context of food, „artik“ means something like “ everybody ate and we are all full now, and we have this extra (artik) for the next meal.“ We could choose to embrace the capacity that lies within leftovers/remains just like the ancient makers  of  turkic languages once did.Pinar Yoldas (Künstlerin, »Ecosystem of Exzess«)
Plastikmüll in den Meeren?

100 – 150 Tonnen*

Plastikmüll treiben auf und in den Weltmeeren. Ob der im Pazifik auch als Great Pacific Garbage Patch bekannte Plastikmüllteppich eine Ausdehnung von der Größe Mitteleuropas oder Texas' hat, ist allerdings umstritten. Fakt ist aber, dass Plastiktüten, Eimer oder Einwegrasierer Meeresbewohnern zu schaffen machen und Plastikpartikel Eingang in die Nahrungskette finden. (*Quelle: Deutsches Bundesumweltamt 2014)
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