
Im Gastbeitrag: die Designerin Susanne Ritzmann
Ohne Frage: Müll ist ein allgegenwärtiges und ziemlich verzwicktes Problem unserer Gesellschaft. Es werden derzeit viele Anstrengungen unternommen, um das Phänomen anhand seiner Symptome in den Griff zu bekommen. Unverpacktes Einkaufen, Upcycling, Tauschplattformen, Schnippeldiskos, um nur einige Beispiele zu nennen. Es sind wichtige und richtige Initiativen, dennoch frage ich mich als Designerin, wie gut wir eigentlich unser problematisches Phänomen Müll kennen. Wie viel Gestaltung brauchen diese neuen (oder alten) Verhaltensalternativen, um sich durchzusetzen? In meiner Dissertation* beschäftigte ich mich mit der Delegation des Problems an Designstudierende, die daraus nicht nur Lehren über den Ist-Zustand unserer Gesellschaft ziehen sollen, sondern auch sinnhafte Alternativen für die Zukunft erarbeiten werden. Denn am Ende entscheidet die gelungene Gestaltung einer Handlung über deren dauerhaften Fortbestand.
*«Entwerfen und Wegwerfen. Das Phänomen Müll als designdidaktisches Werkzeug der Vermittlung des Konzepts Nachhaltigkeit.»
Die Lehre vom Rest
Lucius Burckhardt stellte 1980 die These auf, dass Aufgaben, die einen Rest ergeben, den Umgang mit der Realität erproben. Die menschliche Realität ist voll von Prozessen, bei denen etwas hinterlassen wird, das nicht zielführender Teil der eigentlichen Handlung war. Dass Reste ständig entstehen, erzwingt gewissermaßen die Auseinandersetzung mit ihnen. Doch Burckhardt stellte damals weiterhin fest, dass die Lernaufgaben an Schulen und auch an (Kunst-)Hochschulen zumeist ohne Rest lösbar sind und damit nicht auf die Realität vorbereiten. Schon während der Schulzeit erkannte man die Richtigkeit der Mathehausaufgabe daran, ob sie restlos aufgegangen war – im besten Fall mit 0 oder 1.
In der Hochschule ist das ähnlich. Reste sind mir während meines Designstudiums selten begegnet. Es ist wahr, dass die Recyclingfähigkeit verschiedener Materialen unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit durchaus ein Thema in der Ausbildung von Designern ist. Aber die tatsächliche Analyse (praktische Ebene) des Rests meiner Aktivität als Designer oblag mir während des Studiums nicht. Ebenso wenig fand eine Auseinandersetzung mit den sozialen und systemischen Eigenschaften des Phänomens (theoretische Ebene) innerhalb der Ausbildung statt. So entstand mein Forschungsprojekt, welches Müll als phänomenologischen Vertreter des Rests zum Werkzeug in der Ausbildung machen will. Um so mehr ich die beiden Begriffe «Design» und «Müll» miteinander verbinden wollte, desto klarer erkannte ich sie als «Anfang» und «Ende» ein und desselben Prozesses. Dieser Prozess ist der Lebenslauf der Dinge.

Müll und Design theoretisch betrachtet
Also wir nehmen nun an, dass der Lebensweg eines Gegenstands als Idee beim Designer beginnt und als Abfall in der Mülltonne endet. Dass Anfang und Ende irgendetwas miteinander zu tun haben, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Doch gleichzeitig ergeben sich aus dieser Annahme viele Fragen. Was passiert dazwischen? Wie viel Einfluss hat der Anfang auf das Ende? Wie genau verläuft das Ende? Im Rahmen meiner Dissertation habe ich versucht, diese und andere Fragen zu klären. Ich habe gewissermaßen eine Designtheorie des Mülls entwickelt, die theoretische Grundlagen des Entwurfsprozesses mit sozialtheoretischen Annahmen über den Gebrauch von Dingen und aktuelle Abfallpraktiken verbindet. Sie schreibt den Lebenslauf der Dinge.
Die tatsächlich letzte Lebensphase der Dinge ist die Entsorgung. Diese Phase ist dem Durchschnittsbürger wenig zugänglich. Es handelt sich um all jene Prozesse, die mit dem Abholen der Mülltonnen einsetzen. Die Dinge werden nun gescannt, sortiert, verladen, gelagert, geschichtet, entflammt, gewässert, getrocknet, zerkleinert, geschmolzen … Grundsätzlich kann man sagen, die Dinge werden nun zerstört. Genauer betrachtet wird natürlich ein beträchtlicher Anteil der zerstörten Dinge (als Energie oder Materialsubstrat) verwertet, um andere Prozesse (neue Dinge herstellen) in Gang zu setzen. Der andere Anteil der Dinge wird so weit zerstört, wie es nur geht. Am Ende bleibt der hartnäckige Rest, z. B. Filterschlacken und Rußpartikel aus Verbrennungsanlagen. Dieser Rest verschwindet nicht, er wird durch die bestehenden Systeme verwaltet (z. B. auf Deponien).