
»Der Müll von Obama war uns nicht persönlich genug.«
– Pascal Rostain im Gespräch mit Magazin für Restkultur –
Was veranlasst ein französisches Fotografenpaar, den Müll von Schauspielern, Politikern und anderen Prominenten zu fotografieren? Vielleicht ist es ja die gleiche Neugier, die auch uns dazu bewogen hat, einfach nach den Gründen für ihr Restinteresse zu fragen …
Magazin für Restkultur: Warum fotografieren Sie den Abfall von Stars wie Madonna? Und wie haben Sie begonnen? Serge Gainsbourg ist inzwischen leider verstorben … Ja, davon hat man viel gehört und gelesen. Und welches Prinzip haben Sie sich zu eigen gemacht?
Pascal Rostain: Das alles hat 1988 mit einem Artikel eines Professors der Soziologie aus Montpellier im »Le Monde« begonnen. Er schrieb einen Text über die Abfallprodukte der Menschen und über die Bedeutung, die der Abfall nicht nur in ökologischer Hinsicht, sondern auch als Spiegel der Gesellschaft hat. Dieser Artikel brachte uns, Bruno Mouron, der in Frankreich ein sehr bekannter Maler ist, und mich auf die Idee, uns für Abfall zu interessieren.
P. Rostain: Ach, zunächst sind wir im Land geblieben, also in Frankreich. Erst wollten wir den Abfall normaler Leute fotografieren, aber wer interessiert sich schon dafür? So dachten wir damals! Wir konnten zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen, wie sich das Ganze entwickeln würde. Doch bleiben wir erstmal im Jahr 1988. Also: Wir waren damals natürlich viel jünger und wollten mit unseren Fotos auf jeden Fall Aufsehen erregen. Wir machten uns also auf die Suche nach bekannten Leuten. Wir machten zuerst Fotos vom Abfall von Brigitte Bardot und Serge Gainsbourg.
P. Rostain: Ja. Leider. Ein großartiger Künstler. Sie können sich nicht vorstellen, wie aussagekräftig sein Abfall war. Unglaublich. Unmengen an leeren Päckchen der Gitanes Zigaretten. Wie sie vielleicht wissen, eine der stärksten Zigaretten überhaupt! Und die Menge an Alkoholflaschen, wirklich unglaublich. Und angesichts dieses Abfalls – das Bild werde ich nie vergessen – haben wir uns ein Prinzip zu eigen gemacht. Denn in diesem Augenblick haben wir verstanden, was der Abfall über den Menschen aussagt. So wie Du lebst, so ist auch Dein Abfall. Jeder weiß, wie excessiv und ausschweifend das Leben von Serge war, auch Sie in Deutschland haben das gewusst?
P. Rostain: Ach so, ja, nun gut. Als wir verstanden hatten, was der Müll eines Menschen über ihn aussagt, dachten wir erst daran, den Müll zu sortieren, nach vorzeigbar und nicht. Aber damit ging ja die Individualität des jeweiligen Müllbesitzers verloren. Wir beschränkten uns also darauf, nur Dinge auszusortieren, die etwas über die Gesundheit oder Krankheit (Medikamente) oder über sexuelle Praktiken etwas aussagten.
Und daran halten Sie sich bis heute? Natürlich. Und wie ging die Geschichte damals weiter? Pardon, Sie meinen das große Forschungszentrum in Paris? Rudologie? Das verstehe ich nicht. Und Ihr Bruder ist dort Archäologe? Und was genau war sein Einfluss damals in Ihren Anfangszeiten?
P. Rostain: Ja. Das ist ein feststehendes Prinzip und wird niemals missachtet. Schließlich haben wir die Intimsphäre eines Menschen zu respektieren. Da wir gerade darüber reden: Das ist eines unserer zwei größten Probleme. Der Schutz der intimsten Eigenarten und Erlaubnis zum Fotografieren. Fast alle Leute wollen dann den Müll sortieren – das wollen wir natürlich nicht! Es würde den Eindruck verfälschen.
P. Rostain: In den ersten Jahren blieben wir in Frankreich. Wir suchten den Abfall von fast allen berühmten und bekannten Leuten, die hier einen Namen haben und fotografierten ihn. Von Gerard Depardieu, Yannik Noah usw. Bis wir merkten, das war nicht spektakulär genug. Da gesellte sich mein jüngerer Bruder zu uns und zeigte Interesse an unserer Arbeit. Er ist übrigens Archäologe am CNRS …
P. Rostain: Genau. Wie Sie wissen, ist es weltweit bekannt und das größte seiner Art in Europa. Da wird unter anderem an der dortigen Universität auch Rudologie gelehrt.
P. Rostain: Das ist die Wissenschaft und Erforschung von Abfallprodukten des Menschen in allen bekannten Zeitepochen.
P. Rostain: Genau. Er ist Dozent für Rudologie am CNRS und an der Universität und macht Ausgrabungen. Im Moment macht er Ausgrabungen auf der Suche nach Abfallprodukten aus der Zeit Julius Cäsars.
P. Rostain: Ach so, ja. Er wollte uns für seine Arbeit der Abfallforschung in früheren Epochen gewinnen. Das interessierte uns zwar, aber wir vereinbarten, dass wir später darauf zurückkommen würden. Wir gingen also erstmal ins Ausland. Zunächst in die USA nach LA und fotografierten dort den Abfall von vielen Berühmtheiten. Marlon Brando, Jack Nicholson, Madonna, Sharon Stone, um nur einige zu nennen. Dann machten wir die Bekanntschaft des Chefs der Paris Match, Daniel Silipacci, und wir veröffentlichten einige Fotos. Auch auf Ausstellungen oder in Galerien. Seitdem sind wir in der ganzen Welt unterwegs, um unser aktuelles Projekt zu realisieren.
Was ist Ihr aktuelles Projekt? Darum sind Sie offenbar oft auf Reisen? Und wenn dieses Projekt beendet ist, haben Sie schon eine neue Idee? Das sagen Sie nicht im Ernst! Und wann werden sie den Abfall von Pascal Rostain und Bruno Mouron fotografieren? Aber warum nicht? Also ernsthaft: Nie? Eine letzte Frage, bitte. Welches von allen Fotos ist Ihr Lieblingsfoto? Danke, Pascal!
P. Rostain: Wir wollen in etwa 60 Ländern den Abfall normaler Leute fotografieren und anhand des Abfalles herausfinden, welche kulturellen Gegensätze in den jeweiligen Ländern herrschen.
P. Rostain: So ist es. Wir waren in Russland, China, Japan, Singapour, auf den Malediven, im Kongo in Australien, auf Tahiti in Katar und Algerien, wieder um nur einige zu nennen. Weitere Länder werden folgen.
P. Rostain: (lacht) Ich werde es Ihnen exklusiv verraten: Als nächstes werden wir den Abfall von Gott unter die Lupe nehmen!
P. Rostain: Wie man’s nimmt, Madame. Wir werden den Abfall von Priestern fotografieren. Und danach gehen wir zu den Politikern! Bei Obama waren wir schon, aber der Müll, den wir gefunden haben, war uns nicht persönlich genug. Fast nur Papiere aus dem Weißen Haus und Büromüll. Wir wollen seinen familiären Abfall. Aber kein Problem, wir werden es wieder versuchen. Danach haben wir vor, uns um den Meeresabfall zu kümmern und dann werden wir Fotos vom Weltraummüll machen.
P. Rostain: (lacht) Oh Madame, das werden wir nie machen !
P. Rostain: Erstens sind wir nicht berühmt genug und zweitens gäbe es da wirklich viel auszusortieren! (lacht laut)
P. Rostain: Ernsthaft, Madame. Nie.
P. Rostain: (lacht) O.K. Nur zu !
P. Rostain: Es gibt kein Lieblingsfoto. Jedes Foto hat seine eigene Geschichte, so wie der Abfall immer eine eigene Geschichte hat. Nein, ein Lieblingsfoto gibt es nicht. Die Wahl wäre auch viel zu schwer.
P. Rostain: Ciao, Madame. Danke vielmals.
Das Gespräch mit Pascal Rostain führte Monika Jung Anfang September 2014 für Magazin für Restkultur.
©Alle Rechte für die abgebildeten Aufnahmen Pascal Rostain/Bruno Mouro. Die Fotografien der Serie »Star Trash« zeigen wir hier mit ausdrücklicher Genehmigung der Fotografen. ©Textbeitrag: Magazin für Restkultur
Kommentar hinterlassen