
»Das ist etwa so, als wenn man sagen würde schütze dein Kind – schlage es weniger«
– Prof. Michael Braungart, IHK Frankfurt (Earthday 2015) –
Gastbeitrag: Charlotte Stiefel 22. April 2015
Zum bereits 45. Mal wurde am Donnerstag der vergangenen Woche der Earthday begangen. Unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen wird seit 1970 weltweit einmal jährlich auf Probleme der Umweltverschmutzung aufmerksam gemacht. In diesem Jahr haben die deutschen Organisatoren [->earthday.de] Cradle to Cradle in den Vordergrund ihrer Aktivitäten gerückt. Nach dem Cradle to Cradle–Prinzip entstehen nach dem Ende eines Produktlebens keine Reste im eigentlichen Sinne, sondern »Nährstoffe«, die in den Verwertungskreislauf zurückgeführt werden. Entwickelt haben das Konzept der deutsche Chemiker Prof. Michael Braungart und der amerikanische Architekt William McDonough.
»Cradle to Cradle – Revolution im Wirtschaftskreislauf – Eine Welt ohne Abfall« hatte die IHK Frankfurt/M. ihre Veranstaltung überschrieben und zusammen mit dem US-Konsulat zu einer Podiumsdiskussion geladen. Neben Ken Alston (CEO McDonough Braungart Design Chemistry) und Anke Trischler (reTHING) war auch Michael Braungart als Redner geladen. Ihre Eindrücke von der Veranstaltung fasst Charlotte Stiefel für uns zusammen, die neben zahlreichen Zuhörern aus Industrie und Wirtschaft ebenfalls anwesend war. Sie ist Verlegerin und führt in Mannheim den neunmalklug Verlag, bei dem unter anderem auch Kinderbücher nach dem Cradle to Cradle-Prinzip hergestellt werden.

Die Veranstaltung fand bei der IHK Frankfurt von 10:00 bis 14:00 Uhr statt. Nach einigen einleitenden Worten des Geschäftsführers der IHK Frankfurt Detlev Osterloh und der stellvertretenden US-Generalkonsulin Lisa Vickers trat Prof. Braungart an den Rednerpult, um ausführlich und streitlustig Stellung zu Cradle to Cradle zu beziehen. In kürzeren Wortbeiträgen kamen auch Ken Alston (MBDC) sowie die Preisträgerin des Umweltpreises der Stadt Wiesbaden 2014 Anke Trischler (reTHING – Upcycling, Wiesbaden) zu Wort. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion trafen insbesondere die unterschiedlichen Meinungen der Anwesenden zum Thema Umweltschutz aufeinander. »Nur weil die Flaggen ein zweites Leben bekommen, sind sie aufgrund ihres Materials ja nicht weniger schädlich und sollten lieber nicht zu viel Kontakt zu Kindern haben«, so Braungart beispielsweise mit Blick auf das Upcycling-Konzept von reTHING.
Braungart möchte, dass der Mensch ein Nützling werde und durch seine Erfindungen und Taten nicht »der Erde weniger schade«, sondern ihr nütze. Eben die richtigen Dinge machen, statt die falschen Dinge richtig zu machen. Effektivität statt Effizienz. Wiederholt formuliert er den Satz: »Für weniger schlecht zu sein, sind wir zu viele. Um Nützlinge zu sein, sind wir genug.« Möglich sei dies durch den Cradle to Cradle-Ansatz. Denn dabei würden Dinge gleich so entwickelt, dass sie der Umwelt nützten. Im Laufe seines Vortrags bringt er einige teils makabre Beispiele dafür, wie man – weit verbreiteten Vorstellungen zufolge – der Umwelt weniger schaden könne: »Fahren Sie mit dem Aufzug. Denn wenn Sie die Treppe nehmen, verbrauchen Sie dafür fünf Mal mehr Kalorien. Also: Aufzugfahren schützt die Umwelt! Oder trinken Sie kein Mineralwasser mit Kohlensäure, dadurch reduzieren Sie Ihren CO2-Verbrauch.« Es gäbe bereits einige Produkte, die so funktionierten. Teppiche der Firma Desso beispielsweise, die nicht nur schadstofffrei seien, sondern sogar die Luft säuberten. Oder Bezüge von Flugzeugsitzen, die komplett unschädlich und theoretisch essbar wären. Auch Cradle to Cradle zertifiziertes Toilettenpapier sei inzwischen auf dem Markt. Braungart wünsche sich für die Zukunft mehr Innovationen in diese Richtung: In Kreisläufen denken, statt Müll zu produzieren. Damit jeder Mensch einen positiven Fußabdruck auf dieser Welt hinterlasse.
Zu Beginn seines Vortrages räumt Michael Braungart ein, dass man heute eigentlich nur dafür bezahlt werde, Probleme zu lösen. Dabei sollte doch versucht werden, gleich so zu arbeiten und Dinge so zu entwickeln, dass erst gar keine Probleme aufträten – so wie bei Cradle to Cradle eben – Denken in Kreisläufen. Mit einigen Beispielen führt er den Zuhörern vor Augen, dass viele Dinge, die wir heute für »gut und nachhaltig« hielten, eigentlich total absurd seien. So nannten wir es »Umweltschutz«, wenn wir versuchten weniger zu vernichten. »Das wäre etwa so, wie wenn man sagen würde, schütze dein Kind – schlage es weniger«, so Braungart. Durch Effizienz würden falsche Dinge nicht gut – »Bad ist bad. And less bad is also bad.«
Vortragsteil Ken Alston
CEO und Präsident von Consulting & Educational Services bei McDonough Braungart Design Chemistry (MBDC)
Ken Alston kommt in seinem Vortrag auf die Aufgaben zu sprechen, die sein Unternehmen habe, um in Richtung Cradle to Cradle zu beraten. Wiederholt stellt er die Frage: »Weißt du wirklich, was in deinen Produkten drin ist?« So komme man doch schnell auf Stoffe, die sich durch bessere ersetzen lassen. Aber oft sei das ein langer Weg bis dahin.
Vortragsteil Anke Trischler
Unternehmensgemeinschaft reTHING,
Preisträgerin des Nachhaltigkeitspreises der Stadt Wiesbaden (2014)
Nicht vorab angekündigt ist Anke Trischler, die mit ihrer Unternehmensgemeinschaft reThings mit dem Nachhaltigkeitspreis der Stadt Wiesbaden 2014 ausgezeichnet worden ist. Das Thema ihres Vortrags: »C2C ist das Ziel. Upcycling ein Schritt in die Richtung.« So produziere sie aus Dingen, die eigentlich weggeworfen werden, neue Dinge und vermeide damit nicht nur Müll, sondern schaffe auch Arbeitsplätze in der Region. So hat sie beispielsweise im Auftrag einer Entsorgungsfirma aus deren ausgemusterten Neonwesten Matschhosen für Kinder nähen lassen. Den Wiesbadener Umweltpreis 2014 bekam sie für ihre »Lilybags« – Stofftaschen aus alten Flaggen der IHK-Wiesbaden, die nach einmaliger Nutzung zu nichts mehr zu gebrauchen waren. Nun hätten sie ein neues Leben und könnten anstelle von Plastiktüten verwendet werden.
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