Buchvorstellung: »Dreimal anziehen, weg damit«

»Dreimal anziehen, weg damit«, Heike Holdinghausen

»Dankenswerterweise belässt es die taz-Journalistin aber nicht nur bei beängstigend-bedrückenden Fakten, sondern entführt den Leser mit dem einen oder anderen Seitenblick geschickt auf geschichtlich-anektdotisches Terrain.«

»Dreimal anziehen, weg damit« von Heike Holdinghausen (»Der geschenkte Planet«/»Wir konsumieren uns zu Tode«) gewährt nicht nur eine Vielzahl interessanter Einblicke in die Restverwertungs- und Erzeugungsmechanismen der Kleidungs- und Modeindustrie. Second-Hand-Kleidung, so erfahren wir hier, nimmt beispielsweise einen nur vergleichsweise kleinen Anteil gegenüber den zunehmend größer werdenden Altkleiderhaufen in bundesdeutschen Sammelstellen ein. Ganz weit vorne in Sachen Abwasserverunreinigungen sind hingegen die in die Hinterhöfe dieser Welt verbannten Produktionsstätten der Textilindustrie (deren spärlich in Deutschland verbliebene Restvorkommen in dem Buch ebenfalls ausgeleuchtet werden). Und da wir schon bei Resten sind: Recyclingpolyester beruhigt zwar unter Umständen das Gewissen, ist der Gesundheit jedoch wenig förderlich, wie die Autorin mit Blick auf Antimon-Vorkommen in eben diesen Kleidungsstücken aufzeigt. Doch ist ein gewisses Rest-Interesse mitnichten der einzige Grund, weshalb es sich lohnt, das knapp 200seitige Werk zu lesen.

Verstörend sind die in »Dreimal anziehen, weg damit« aufgezeigten Fakten rund um den Anbau und die Produktion der für Kleidung benötigten Rohstoffe und die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Die Tatsache, dass Baumwolle in den meisten Teilen der Welt nur unter Einsatz eines horrenden Wasser- und Pestizidverbrauchs angebaut wird, dürfte mittlerweile niemanden überraschen. Nachdenklich stimmt aber zusätzlich, dass ausgerechnet als Folge dessen jene vielversprechenden »technischen Textilien«, denen die Autorin ein eigenes Kapitel widmet, möglicherweise doch keine Option für die Zeit nach „Peak Oil“ bieten. Dankenswerterweise belässt es die taz-Journalistin aber nicht nur bei beängstigend-bedrückenden Fakten und Ausblicken. Sie entführt den Leser außerdem geschickt mit dem einen oder anderen Seitenblick auf geschichtlich-anektdotisches Terrain. Zu lesen ist zum Beispiel also auch darüber, welchen kuriosen Umständen die Jeans ihren Namen verdankt und dass es wiederum der Abfall eines bestimmten frühindustriellen Produktes war, aus dem sich günstig Farben herstellen ließ.

Wer sich durch das unterhaltsam verfasste und mit unzähligen Fakten gespickte Buch arbeitet, dankt der Autorin nicht nur dafür, dass sie Licht in einen offenkundig undurchdringlichen Markt zu bringen versucht. Womöglich – aber das liegt nicht an Holdinghausen – macht sich vielleicht ja auch Ärger darüber breit, dass soweit das Auge reicht, Kompromisse geschlossen werden müssen: Hier die Markenkleidung, deren Preis hoch ist, bei der aber die Kontrollmöglichkeiten darüber, wie und wo sie gefertigt wurde, gering sind; dort der ernüchternde Blick auf sogenannte Funktionskleidung, deren Fasern (ganz gleich, ob sie synthetisch hergestellt wurden oder von Schafen stammen) mitunter wenig Grund zur Freude bieten. Jenen bewusst sich kleidenden Menschen, die sich auf der »richtigen Seite« wähnen, droht gleichermaßen Ungemach. Denn: Auf dem Markt für vermeintlich nachhaltig hergestellte Bekleidung wimmelt es mittlerweile nicht nur von unzähligen Wettbewerbern, sondern von ebenso vielen Siegeln, die die Unbedenklichkeit des Anbaus und der Färbe- und Verarbeitungsverfahren bescheinigen sollen. In Anbetracht der so vielleicht entstehenden Ratlosigkeit hilft ein Blick in den von der Autorin bewusst knapp gehaltenen Anhang, in dem auf einige ausgewählte Hersteller und Siegel verwiesen wird.

Die wichtigste Auskunft hält die Verfasserin aber schon am Anfang des Buches bereit, in dem sie eine führende deutsche Branchenfachzeitschrift zitiert: Es sei einfach »zu viel Ware auf dem Markt«. Womit vielleicht hinlänglich beschrieben wird, woran ein auf Wachstum und immer kürzeren Modezyklen beruhendes System krankt – und woran jeder Einzelne beim Erwerb seiner nächsten Kleidungsstücke denken könnte und, ja, sollte. Der Preis für unser Kleidungs- und Konsumverhalten, das macht das Buch deutlich, wird sonst unweigerlich immer höher.

RSTKRT_Dreimal-anziehen#2

Heike Holdinghausen
Dreimal anziehen, weg damit
Was ist der wirkliche Preis für T-Shirts, Jeans und Co?
Klappenbroschur, ca. 200 Seiten (+ ausführliches Quellenverzeichnis)
Westend-Verlag, 2015
Preis € (D) 16,99/(A) 17,50
ISBN: 978-3-86489-104-5

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