
»Dieses Heft gehört unbedingt ins Reisegepäck derjenigen, die zum Weltklimagipfel nach Paris reisen. Nach Abschluss der Konferenz sollten sie es aber nicht im Hotelzimmer liegen lassen. Die Arbeit geht ja dann erst richtig los – und hier lohnt umso mehr ein Blick in die Zukunftskizzen, die der Atlas der Globalisierung zeichnet.«
Vertreter linkslastiger Positionen haben bisweilen die etwas enervierende Eigenart, dass sie sich grundsätzlich auf der richtigen Seite der Dinge wähnen. Die Geschichte geht dann meistens so: Hier die Retter der Umwelt – dort die Zerstörer selbiger; hier die Gutmenschen (wir lassen nicht zu, dass dieses Wortgebilde von völkischen Dresdnern in Beschlag genommen wird!) – dort die entfesselten Kapitalisten; hier der neu erschienene »Atlas der Globalisierung« – dort die zahlreich anzuprangernden Missstände. Doch leider – und damit entgleitet dem einen oder anderen Leser ja womöglich das süffisante Lächeln – haben sich besagte Warner und Mahner als größtenteils vorausschauender als ihre geschäftstüchtigen Gegenspieler erwiesen. Liebe Industrielle und Unternehmer: Ihr werdet wohl zugeben müssen, dass es ja diese vermeintlich »Linken« sind, die euch dazu anhalten mussten, die Dreckschleudern der Fabriken herunterzufahren oder den Ausstoß klimaschädigender Gase zu senken. Die Erfahrung lehrt schließlich, dass es eines gewissen regulatorischen Eifers bedarf, ohne den ihr erst die Wälder abholzen, und dann erstaunt feststellen würdet, dass nichts mehr nachwächst. Also?
Folgerichtig wird der »Atlas der Globalisierung« in seiner nunmehr 7. Ausgabe nun eher nicht von konservativ geprägten Feuilletons, sondern in als »alternativ« beschriebenen Kreisen gelesen und besprochen werden. Was durchaus zu bedauern ist, ließe sich ja durch einen intensiveren Dialog beider »Lager« die eine oder andere Fehlentwicklung mit Sicherheit vermeiden.
Im ersten Teil des knapp 170seitigen Werkes werfen die Autoren zunächst einen Blick zurück und auf die Ursachen unterschiedlichster globaler und sozio-ökologischer Verwerfungen. Als wie anfällig und fehlgeleitet sich nach Ansicht der Autoren grün angehauchte Wachstumsversuche erwiesen haben, kommt im zweiten Kapitel zur Sprache. Die sich daraus zum Teil ableitenden Folgen werden im vorletzten Abschnitt behandelt, während im vierten und letzten Schwerpunkt mit Postwachstumskonzepten Alternativen zu derzeitigen Wirtschafts- und Kulturmodellen westlicher Prägung aufgezeigt werden. Untermalt werden die Texte von Hartmut Rosa, Valentin Thurn oder Elisabeth von Thadden (um nur einige der knapp 60 Autoren zu nennen) von zahllosen Grafiken und Diagrammen. Einzig: diese erweisen sich aufgrund der unterzubringenden Informationen nicht immer als hilfreich, sondern als zu kleinteilig und von eher schmückendem Wert. Weiteren informativen und argumentativen Mehrwert erhält der Leser des »Atlas der Globalisierung« durch die am Ende der jeweiligen Textabschnitte untergebrachten Literaturverweise, dem ausführlichen Quellennachweis und einem Glossar.
Es mag zwar nur eine zeitliche Koinzidenz sein, doch ziemlich genau zum Zeitpunkt des Erscheinens der aktuellen Ausgabe des »Atlas der Globalisierung« fand der amerikanische Präsident Barack Obama zum Ende seiner Amtszeit ungewohnt klare umweltpolitische Worte. Das Magazin Der Spiegel titelte indes »Welt ohne Wasser« und das Wochenmagazin Die Zeit überschrieb ausgerechnet seinen Wirtschaftsteil der Juni-Ausgabe mit »Kein Wachstum mehr«. Wenn wir also anlässlich der in Paris stattfindenden Klimakonferenz diesen Text vorgestellt haben werden, wird wohl Gewissheit darüber herrschen, dass es um den Planeten Erde nicht so gut bestellt sein kann. Der »Atlas der Globalisierung« gehört daher nicht nur (aber auch) ins Handgepäck derjenigen, die zum Weltklimagipfel reisen. Aber: Bitte nicht im Hotelzimmer liegen lassen! Die Arbeit geht ja dann erst richtig los – und hier lohnt umso mehr ein Blick in die Zukunftsskizzen, die der »Atlas der Globalisierung« zeichnet.
Ach, und wer jetzt hier irgendwie den für Magazin für Restkultur typischen Restebezug vermisst: Der »Atlas der Globalisierung« nimmt unter anderem Rest-Ressourcen (beispielsweise Sand), aber auch Lebensmittelverschwendung und das Thema Altgeräteentsorgung unter die Lupe. Und überhaupt: Wenn »weniger ja mehr« wird, wie es im Untertitel heißt, sprechen wir ja ohnehin von dem, was übrig bleibt …
Atlas der Globalisierung
Weniger wird mehr
Broschur, ca. 170 Seiten
Le Monde Diplomatique, 2015
Preis € (D) 16,00
ISBN-10: 3937683577