Darwin (Australien), September 2014
Liebes Magazin für Restkultur-Team und liebe Leser,
unverhofft kommt oft, so sagt man in Deutschland. Und da sich das Sprichwort weder auf ein positives oder negatives Ereignis, noch auf den Verlauf und Ausgang eben jenes bezieht, scheint die vage Umschreibung ihrem Ruf gerecht zu werden. Angekommen in Darwin hat uns das Schicksal gleich zwei Streiche gespielt. Unverhofft, wie man so schön sagt, haben Jetleg und Aircondition ihr Nötiges getan, um uns direkt nach der Ankunft eine Woche ans Bett zu fesseln. Das wahre Ausmaß der Misere wird einem erst bewusst, leuchtet man die Umstände etwas näher aus: Auf Reisen steht das dem jeweiligen Individuum zur Verfügung stehende Kapital und das sowohl gegenwärtige wie auch zukünftige Einkommen, in unmittelbarem Verhältnis zu dem zu erwartenden Maß an Luxus. Auf gut Deutsch: Mit wenig Kapital und keinem Einkommen entbehrt unsere Unterkunft, wenn wir uns denn mal eine leisten, meist jeglicher Annehmlichkeiten.
In diesem Fall teilten wir uns einen kleinen Raum mit vier weiteren Reisenden und zwischen schlaflosen Nächten und fiebrigen Schüben hatten wir nicht nur Angst, unsere Zimmergenossen anzustecken, sondern auch des Hostels verwiesen zu werden, um einer Ansteckung entgegenzuwirken. Ohne das Bild überstrapazieren zu wollen, bleibt noch zu erwähnen, dass wir in einer neuen Stadt einem tropischem Klima, flirrender Hitze und klirrender Aircondition ausgesetzt waren – beide gelähmt und ohne Kraft, um auch nur die einfachsten Dinge des täglichen Lebens zu verrichten. Genau an diesem Punkt bewahrheitet sich das Sprichwort von Neuem: Unverhofft kommt oft! In unserem Fall in Form des Free Shelfs, was übersetzt so viel heißt wie Freies Regal. Das Free Shelf ist, wie der Name schon sagt, ein Segment im Regal oder Ablageplatz im Kühlschrank, in das Reisende all jene Dinge legen, die sie nicht mehr benötigen. Frei zugänglich kann sich jeder nehmen, was er braucht und nach Belieben verwenden.
Nun möchte man meinen, dass in einer Unterkunft dieser Preisklasse eine solche Institution keine große Beachtung erfährt. Wer schnarchende Mitbewohner und den Verlust jeglicher Privatsphäre in Kauf nimmt, um ein paar Dollar zu sparen, wird wohl kaum sein Essen verschenken. Doch Darwin ist ein Hub, ein Hafen für Reisende von und in den Rest der Welt. Hektische Zeitpläne, überstürzte Abreisen und sensible Flugrichtlinien sind an diesem Ort ein ständiger Garant für gratis Essen. Eine Woche haben wir so gut wie aus dem Free Shelf gelebt. Und – um ein weiteres Sprichwort zu bemühen: Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Wobei in unserem Fall Tisch durch Regal zu ersetzen ist. Der Weg aus unserem Zimmer (drei Schritte bis zur Küche und zurück) stellte eine gerade zu bewältigende Hürde dar. Neben normalen Essensresten wie angebrochenen Müslipackungen, Konserven, Zutaten und sonstigen Überbleibseln fanden sich auch ganze Mahlzeiten im Free Shelf. Ambitioniert und übermotiviert zu Werke gegangen, wanderte die eine oder andere zu viel gekochte Portion ins Regal oder in den Kühlschrank – eine willkommene Abwechslung in unserem der Willkür des Regals ausgelieferten Speiseplans!
Mittlerweile sind wir genesen und haben in Australien Fuß gefasst. Vor unserer Abreise aus Darwin hat nahezu die Hälfte, der die mit dem Kauf unseres Autos in unseren Besitz gewechselten Güter, den Weg ins Free Shelf gefunden. Mit frohem Herzen zahlen wir zurück, was uns am Boden gerettet hat. Dabei geht es gar nicht um geben und nehmen, nichts muss ausgeglichen oder zurückgezahlt werden. Das Free Shelf ist eine einfache aber geniale Einrichtung, um wertlos oder überflüssig erscheinende Dinge jenen zugänglich zu machen, die einen Nutzen dafür empfinden. Werde es los und sei glücklich, nimm es und sei glücklich. Und der lachende Dritte ist die Natur, deren Ressourcen geschont werden. Eine klassische win-win-win Situation, was will man mehr?!
Mit Grüßen in die Heimat und bis zum nächsten Mal: Anita und Nico
Wir danken Anita und Nico für den Beitrag, wünschen Ihnen, dass sie bei guter Gesundheit bleiben und freuen uns auf weitere Briefe aus der Ferne! ©Text/Fotos: Anita Kisiala/Nico Hopp für Magazin für Restkultur
Weitere Informationen zu Zielen und Absichten sowie zu den Möglichkeiten dazu, Anita und Nico zu unterstützen: youkeepustraveling.com/facebook.com/youkeepustraveling.
Hörenswert ist außerdem ein Gespräch mit dem hessischen Rundfunk (Mai 2014), in dem die beiden Weltenbummler die Gründe für ihr Engagement erklären: hr-online.de