Verpackungsabfall: »In Deutschland läuft etwas gewaltig schief«

Deutsche Umwelthilfe versus Deutsches Verpackungsinstitut

[06|16] Als wir vor einigen Wochen vom Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Verpackungsinstituts (DVI) wissen wollten, wie sich die »Verursacher« der gesellschaftlichen Debatte rund um Verpackungsabfälle stellen, fielen die Antworten nur bedingt (selbst)kritisch aus. (siehe Beitrag ). Einen etwas anderen Blick auf Umverpackungs-Herausforderungen unserer Zeit wirft der Recycling- und Verpackungsexperte Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Für Magazin für Restkultur stellt er fünf ausgewählte Aussagen aus unserem Interview mit dem DVI in Frage – und zur Diskussion.

Das vollständige Interview mit dem Verbandsvorsitzenden des Deutschen Verpackungsinstituts ist unter »Kritik an Verpackungen: Was sagt eigentlich die Industrie dazu?« zu finden.

Radieschen in Smoothie-Kunststoff-Bechern
Radieschen in Smoothie-Kunststoff-Bechern

Deutsches Verpackungsinstitut
[…] So braucht man für die Herstellung von Behälterglas heute nur noch 40% der Energie, die Anfang der 1960er Jahre nötig war. Aus der gleichen Menge Holz produzieren wir heute bis zu 80% mehr Karton als noch vor 30 Jahren. Eine Getränkedose war Mitte der 1950er viermal so schwer wie heute, eine Bierflasche dreimal. Das Gewicht einer PET-Flasche hat um mehr als 50% abgenommen. […]
Deutsche Umwelthilfe
Kein Land in Europa verursacht zur Zeit mehr Verpackungsabfall als Deutschland. 213 Kilogramm sind es bei uns pro Kopf und Jahr – 20 Prozent mehr als im europäischen Durchschnitt. Zum Vergleich: In Frankreich sind es 185, in Österreich 150 und in Schweden sogar nur 109 Kilogramm. In Deutschland läuft etwas gewaltig schief. Die Menge an Verpackungsmüll wächst seit 2009 unaufhaltsam und hat sich allein bei Kunststoffverpackungen in den letzten Jahren um ein Drittel erhöht. Die pro Jahr in Deutschland anfallenden Plastikflaschen würden aufeinandergestellt 16 Mal von der Erde bis zum Mond reichen. Für die Herstellung dieser 17 Milliarden Einweg-Plastikflaschen werden dabei mehr als 665.000 Tonnen Rohöl verbraucht.

Deutsches Verpackungsinstitut
[…]Die Verpackung ist aber auch ein Werbeträger, der gegenüber vielen anderen Kanälen den Vorteil hat, dass er nicht untergeht, konkret mit dem Produkt verbunden ist und sich anfassen lässt. Wir brauchen Verpackungen und sie dienen uns in vielerlei Hinsicht. […]
Deutsche Umwelthilfe
Verpackungen sollen heute nicht mehr nur das Produkt schützen, sondern auch Aufmerksamkeit erregen, das Produkt in Szene setzen und dem Lifestyle der Menschen entsprechen. Gerade bei Spielzeugverpackungen wird aber oft nach dem Motto verfahren »je bunter und größer, desto höher die Aufmerksamkeit bei den Kunden«. Verpackungshersteller schaffen es bislang nicht, die hohen Verpackungsmengen durch intelligentes Design und kreislauforientiertes Ressourcenmanagement mit gesellschaftlichen Ansprüchen an nachhaltige Verpackungen in Einklang zu bringen. Niemand braucht unnütze Umverpackungen oder solche, die deutlich größer sind als das verpackte Produkt.
Eingeschweißte Gurken
Eingeschweißte Gurken

Deutsches Verpackungsinstitut
[…]Kunststoff ist übrigens zum überwiegenden Teil nicht die Zweitverpackung, sondern die Produktverpackung. Das kann funktionale Gründe haben, wie zum Beispiel im Pharmabereich – wo gerade neuartige Wirkstoffe keinen anderen Primärpackstoff zulassen – oder bei Lebensmitteln, wenn es zum Beispiel um die Haltbarkeit geht. An einem Beispiel: Eine Gurke, die in Kunststofffolie verpackt ist, hält bis zu 14 Tage länger. […]
Deutsche Umwelthilfe
Gurken brauchen nicht in Schrumpffolie eingeschweißt zu werden, weil sie überhaupt nicht lange genug im Supermarkt liegen bleiben, damit eine längere Haltbarkeit Sinn ergibt. Zusätzlich wird durch den Einsatz von immer mehr Druckchemikalien, eingezogenen Folien oder Zusatzstoffen die Recyclingfähigkeit von Verpackungen immer stärker eingeschränkt.

Deutsches Verpackungsinstitut
[…]Unsere Gesellschaft ist geprägt von einem Überangebot an Waren, Produkten, Angebotsformen, Portionsgrößen und Einkaufswegen. Ein Vorteil davon ist, dass jeder nach seinem Bedürfnis und nach seiner Überzeugung konsumieren kann. Wer Verpackungen aus einem bestimmten Material nicht will, findet eigentlich immer Alternativen. Warum also drückt sich die Sehnsucht nicht im konkreten Kaufverhalten aus, wenn es sie doch gibt? […]
Deutsche Umwelthilfe
Wenn Verpackungshersteller nun sagen, dass Verbraucher die umweltschädliche Verpackungsflut wollen und am Ende selbst dafür verantwortlich sind, dann verkennen Sie, dass Verbraucher zunehmend vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Wenn es bei Aldi und Lidl ausschließlich Einweg-Plastikflaschen gibt und Coca-Cola aktuell aus dem Mehrwegsystem aussteigt, dann hat der Verbraucher häufig gar keine andere Möglichkeit mehr als Einweg einzukaufen. Einflussreiche Unternehmen sollten deshalb Verbrauchern ressourcenschonende wiederverwendbare Mehrwegalternativen anbieten und nicht nur auf eine Ex- und Hopp-Kultur setzen.
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Die »Gelben Säcke«

Deutsches Verpackungsinstitut
[…]Gerade im Industriebereich gibt es viele Mehrwegsysteme, die man als Konsument nie zu Gesicht bekommt. Und in Deutschland haben wir die weltweit höchsten Rückflussquoten in den Kreislauf. Fast 80% der Verpackungen gehen heute schon in das stoffliche Recycling – und das soll noch besser werden. […]
Deutsche Umwelthilfe
Momentan werden nur rund 40 Prozent der gesammelten Kunststoffverpackungen recycelt. Das liegt vor allem an der niedrigen gesetzlichen Recyclingquote von nur 36 Prozent. Technisch machbar wären jedoch ohne Probleme 65 Prozent. Es gibt seit Jahren einen erkennbaren Trend zu immer kleineren Verpackungen, weil Unternehmen beim Verkauf kleinerer Portionen deutlich höhere Gewinne erzielen als mit Großverpackungen. So sind beispielsweise Kaffeekapseln auf dem Vormarsch – mit tonnenschweren Folgen für die Umwelt. Denn auf sechs Gramm Kaffee kommen circa drei Gramm Aluminium oder Kunststoff für die Einzel-Verpackung und noch mal zwei Gramm Papier für die Umverpackung. Das macht also auf sechs Gramm Kaffee stolze fünf Gramm Verpackung. Ein schlechteres Verhältnis von Füllgut und benötigtem Verpackungsmaterial kann es kaum geben. So verursacht ein Kaffee aus der Kapsel 16 Mal mehr Abfall als Kaffee aus der Großverpackung. 

 

RSTKLTR_Screen-Beitrag

Wir danken Thomas Fischer für seine Einschätzungen. Das vollständige Interview mit dem Verbandsvorsitzenden des Deutschen Verpackungsinstituts ist unter »Kritik an Verpackungen: Was sagt eigentlich die Industrie dazu?« zu finden.

Zur Person
THOMAS FISCHER

Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft, Deutsche Umwelthilfe
  • Thomas Fischer, Jhrg. 1979, Berlin
  • Dipl. Umweltwissenschaftler, seit 8 Jahren bei der Deutschen Umwelthilfe im Bereich Kreislaufwirtschaft tätig
  • Leiter des Bereichs Kreislaufwirtschaft seit 2013 und Experte für Umweltmanagement, Verpackungen, Recycling, Nachhaltigkeitskommunikation
  • Reste sind für ihn: Wir sollten dazu übergehen, nicht von Resten, sondern von Ressourcen zu sprechen und in Wertstoffkreisläufen zu denken. ©Foto: Thomas Fischer

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH)
Gegründet wurde die Deutsche Umwelthilfe bereits im Jahr 1975 als eingetragener (klageberechtigter) Umwelt- und Verbraucherschutzverein. Knapp 75 hauptamtliche Mitarbeiter leiten von den Niederlassungen in Berlin, Radolfzell und Hannover und den Projektbüros in Köthen und Erfurt die zahlreichen Aktivitäten des Verbandes. Finanziert wird die Arbeit der DUH aus privaten Spenden und öffentlichen Fördermitteln für den Natur- und Umweltschutz. Naturschutz und Biodiversität stehen ebenso im Fokus  wie Umweltbildung oder die Kreislaufwirtschaft. Die DUH war maßgeblich für die Einführung des Dosen- und Flaschenpfandes verantwortlich. Weitere Informationen: duh.de  

 

©Fotos: Magazin für Restkultur

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