
MEINUNG | KOMMENTAR
[06 | 14] Mit »Zu gut für die Tonne« hat die ehemalige Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ilse Aigner (CSU) im Jahr 2012 eine Initiative ins Leben gerufen, mit der Lebensmittelverschwendung der Kampf angesagt werden sollte – eine unbestritten wichtige Maßnahme. Etwas umstrittener sind allerdings die Schlussfolgerungen, die das Bundesministerium aus der zugrunde gelegten Studie1 seinerzeit daraus zog. Dies habe, so kritisiert der Taste the Waste-Regisseur Valentin Thurn, zu einer fälschlicherweise überwiegend auf den Endverbraucher zugeschnittenen Kampagne – und an der Verantwortung des Handels und der Industrie vorbei – geführt2. Jüngst veröffentliche Zahlen einer britischen Studie3 belegten jetzt, dass der Anteil der durch den Endverbraucher verschwendeten Lebensmittel zwar hoch sei, jedoch weitaus geringer als angenommen ausfalle. Valentin Thurn kommentiert dies für Magazin für Restkultur, spart nicht mit Kritik an der ehemaligen Ministerin und richtet einen Appell an den aktuellen Amtsinhaber Christian Schmidt (CSU):
Dass die Ex-Ernährungsministerin Ilse Aigner behauptete, der deutsche Verbraucher sei zu 61 % für den Lebensmittelmüll verantwortlich, ärgert mich noch immer. Wo sie doch beim Auftrag zu ihrer Studie die Landwirtschaft einfach außen vor gelassen hat. Jetzt hat das britische Regierungsinstitut WRAP* detaillierte Zahlen3 ermittelt, die sich (von geringfügigen Abweichungen abgesehen) auch auf Deutschland übertragen lassen: Zwei Drittel aller Salatpackungen werden weggeworfen, 35 Prozent davon vom Verbraucher. In der Tonne endet auch knapp die Hälfte aller Backwaren und 40 % aller Äpfel, sowie ein Viertel aller Trauben und ein Fünftel aller Bananen. Die Verbraucher werfen davon rund 10 % weg. Unterm Strich schätzt die Studie, dass etwas mehr als ein Viertel der Verschwendung vom Verbraucher verursacht wird. Zu viel. Aber eine Ohrfeige für Ilse Aigner, die dem Verbraucher den schwarzen Peter zuschiebt.
Mein Appell an Christian Schmidt: Machen Sie es besser! Es ist eine komplexe Aufgabe, bei der neben dem Verbraucher auch alle Bereiche der Produktionskette mitwirken müssen. Und: Scheuen sie sich nicht vor Regulierung, auch wenn klar ist, dass vieles nicht über Gesetze geregelt werden kann, weil es mit unserer Überfluss-Mentalität zu tun hat. Doch zeigen Regulierungen der Wirtschaft, dass auch hier Anstrengungen unternommen werden, die die moralischen Appelle an den Verbraucher glaubwürdiger machen. Vor allem aber helfen sie den Unternehmen, Lösungen auch tatsächlich anzugehen.
Und: Um das Ziel, die Verschwendung bis 2020 zu halbieren, wirklich zu erreichen, kommt man meiner Meinung nach gar nicht an Gesetzen vorbei, die es für die Unternehmen lukrativ machen, weniger wegzuwerfen. Oder war dieses Ziel nie ernst gemeint?
Valentin Thurn für Magazin für Restkultur
1 Link zur „Stuttgarter Studie“ aus dem Jahr 2012, die der Kampagne Zu gut für die Tonne zugrunde liegt: zugutfuerdietonne.de (gekürzte Fassung)
2 siehe auch: Im Gespräch mit Valentin Thurn auf Magazin für Restkultur
3 Link zu einem aktuellen Beitrag des britischen Independent zu dem Thema: independent.co.uk
* WRAP = Waste & Ressources Action Programme (wrap.org.uk)
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