
»Die Verpackung ist immer eine Antwort auf ein Bedürfnis. Würde niemand ›to go‹ trinken, gäbe es auch keine Verpackungen dafür.«
– Thomas Reiner (Deutsches Verpackungsinstitut) im Gespräch mit Magazin für Restkultur –
Auf Magazin für Restkultur werfen wir einen interessierten und gelegentlich auch kritischen Blick auf jegliche Art von Restvorkommen – und auf deren mögliche Ursachen. Plastik- und Umverpackungsherausforderungen unserer Zeit dürfen dabei nicht fehlen. Unsere Aufmerksamkeit galt dabei bislang Vermeidungsstrategien und Unverpackt-Konzepten . Wir haben uns aber gefragt: Wie stellen sich die eigentlichen »Verursacher« der mitunter aufgeladenen Debatte und wie begegnen sie der Kritik, die an Plastik und Co. allenthalben zu vernehmen ist? Um das herauszufinden, haben wir mit dem Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Verpackungsinstituts e.V., Thomas Reiner, gesprochen – auch auf die Gefahr hin, dass der folgende Beitrag als vermeintlich gelungener »Greenwashing«-Erfolg des Verbandes und »Schuss in den Ofen« unsererseits gewertet werden könnte.
- Herr Reiner, welche Zukunft sagen Sie Verpackungen voraus?

Die Verpackung sorgt dafür, dass diese Ressourcen nicht verschwendet werden, wenn die Waren auf ihrem Weg zu uns kaputt gegen oder verderben. Die Verpackung ist aber auch ein Werbeträger, der gegenüber vielen anderen Kanälen den Vorteil hat, dass er nicht untergeht, konkret mit dem Produkt verbunden ist und sich anfassen lässt. Wir brauchen Verpackungen und sie dienen uns in vielerlei Hinsicht.
- Die Verpackungsmittelindustrie sieht sich allerdings vermehrt einer kritischen Öffentlichkeit ausgesetzt. Die Zunahme von Verpackungsabfällen und des Plastikmülls in den Meeren trägt erheblich dazu bei. Wie urteilen Sie darüber?
Schaut man sich die Entwicklung der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte an, sieht man, wie viel weniger Aufwand wir heute brauchen, um ein Produkt zu verpacken, als früher. So braucht man für die Herstellung von Behälterglas heute nur noch 40% der Energie, die Anfang der 1960er Jahre nötig war. Aus der gleichen Menge Holz produzieren wir heute bis zu 80% mehr Karton als noch vor 30 Jahren. Eine Getränkedose war Mitte der 1950er viermal so schwer wie heute, eine Bierflasche dreimal. Das Gewicht einer PET-Flasche hat um mehr als 50% abgenommen.
Die Verpackung ist kein Selbstzweck. Man kann sie auch als Antwort auf sich verändernde gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen sehen. Wenn die Bevölkerung heute „to go“ essen und trinken will, dann brauchen sie dafür entsprechende Verpackungen. Wenn Lebensmittel aus der Tiefkühltruhe oder für die Mikrowelle gewünscht oder gebraucht werden, muss die Verpackung dafür eine Lösung finden. Die Verpackung ist immer eine Antwort auf ein Bedürfnis. Würde niemand „to go“ trinken, gäbe es auch keine Verpackungen dafür.

Aus meiner Sicht sind Verpackungen keine Wegwerfprodukte. Sie gehören nach Gebrauch weder in Ozeane, Flüsse oder an Straßenränder. Verpackungen sind Wertstoffe mit hohem Materialwert und Energieeintrag. Sie gehören zurück in den Kreislauf. Und das nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Leider gibt es bisher kein Wissen darüber, wie sich der Kunststoffabfall in den Ozeanen zusammensetzt. Wir sollten aber wissen, woher der Abfall stammt. Die Kunststoffindustrie in Deutschland und Österreich entwickelt gerade ein Modell, das die Einträge von Kunststoffabfällen in die Meere erfassen kann.
Was wohl bereits einmal untersucht wurde, ist die „Interaktion von Meeresorganismen mit marinen Abfällen“, die anhand betroffener Meerestiere durchgeführt wurde. Nach Angaben des „Project Blue Sea“ machen Verpackungen bei der Interaktion von Meeresorganismen mit marinen Abfällen weltweit einen Anteil von 10% aus. Von Tauen und Netzen stammen 57%, 11% von Bruchstücken, 8% von anderen Fischereiüberresten und 6% von Mikroplastik. Aber ganz unabhängig von Prozentsätzen müssen wir an beiden Seiten arbeiten. Wir brauchen ökologisch unbedenkliche Materialien – davon so wenig wie nötig – ein leistungsfähiges Recyclingsystem und Menschen, die ihren Teil der Verantwortung annehmen, mit Verpackungen richtig umzugehen.
- Die (zumindest gefühlte) Menge an Verpackungen nimmt stetig zu – haben Sie den Eindruck, dass viele Menschen sich zurecht nach einer Reduzierung von (Kunststoff-)Umverpackungen sehnen?
- In vielen deutschen Städten wie Berlin, Kiel und Mainz, um nur einige zu nennen, eröffnen zunehmend mehr Lebensmittelmärkte, die gänzlich auf Umverpackungen verzichten. Eigentlich doch eine gute Idee, oder?

- Zum Schluss, Herr Reiner: Welche Bemühungen unternimmt die Industrie derzeit, um Verpackungsmengen zu reduzieren oder um Verpackungen herzustellen, die kompostierbar oder besser recyclebar sind?
Wichtig ist auch das sogenannte „End of life thinking“. Das heißt, ich denke schon beim Design und der Produktion von Waren und Verpackungen an die Zeit, wenn sie ausgedient haben und wieder in einen Kreislauf zurückgeführt werden müssen. Diese „Denke“ setzt sich immer mehr durch. Entscheidend ist, dass man den Einzelfall anschaut und nicht pauschal zu urteilen versucht. Mehrwegsysteme sind nicht immer ökologisch sinnvoller als Einwegsysteme; Kunststoff nicht immer nachteiliger als andere Materialien. Wir müssen Einsatz, Wirkung und Folgen ins Verhältnis setzen.
Was kompostierbare Verpackungen angeht: Gerade in den letzten Jahren sind viele neue Kunststoffe erschienen, die aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt werden, möglichst nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln stehen sowie zertifiziert oder die kompostierbar sind – was nicht das gleiche ist. Jetzt stellt sich die Frage, ob unsere Systeme schon bereit dafür sind. Wo bringen zum Beispiel Städter ihre kompostierbare Verpackung hin? Brauchen wir einen neuen Sack in einer neuen Farbe? Oder kommt sie in den gelben Sack? Wo und wie trennen wir sie vor dem Recycling von den anderen Verpackungen? Welche Aufwände und Kosten entstehen? Ist die Bilanz am Ende positiv?
Wir sind Tüftler und Innovatoren. Es macht uns Spaß, neue, kluge Lösungen zu finden. Aber werden sie dann auch angenommen? Wenn Konsumenten intelligente Lösungen und Angebote nicht unterstützen, haben sie keinen Bestand.

Anmerkungen der Redaktion
1 »Eine Gurke, die in Kunststofffolie verpackt ist, hält bis zu 14 Tage länger« – nicht unbedingt, wie der bayerische Rundfunk in dem ausführlichen Beitrag »Warum werden Bio-Gurken in Plastik verpackt?« ausleuchtet.
2 »Fast 80% der Verpackungen gehen heute schon in das stoffliche Recycling« – eine Aussage, die man nur bedingt so stehen lassen kann. So schreibt die Süddeutsche Zeitung: »[…]Wenn es um das Recycling geht, werden die vielfältigen Eigenschaften von Kunststoff zum Problem. So werden in Deutschland mehr als 90 Prozent aller Plastikabfälle wieder eingesammelt - aber nur 43 Prozent davon wird auch recycelt und anschließend noch einmal eingesetzt. Weit mehr als die Hälfte, insgesamt 55 Prozent der Abfälle, werden dagegen verbrannt; sie landen in Müllverbrennungsanlagen und werden für die Gewinnung von Strom und Wärme genutzt oder direkt als Ersatzbrennstoff eingesetzt. […]« Siehe auch: »Wettkampf um den Müll« (SZ, 10|2014)
*Texte "zur Person"/"über den dvi": dvi
©Alle Fotos dieses Beitrages mit freundlicher Genehmigung Martin Nink/ninkfoto.de