Grauzone Containern: »Kann denn Müll mitnehmen Sünde sein?«

Gastbeitrag des Juristen Max Malkus

©Foto: Sascha Kohlmann

Gastbeiträge auf Magazin für Restkultur
Auf Magazin für Restkultur lassen wir gelegentlich Autoren, Experten und andere Akteure zu Wort kommen – und zwar immer dann, wenn uns interessante Ideen begegnen, Veranstaltungsreports erreichen oder wenn wir glauben, dass sich mit „fremden Federn“ ungewohnte Winkel ausleuchten und neue Perspektiven einnehmen lassen. Restvermeidungs- oder -verwertungsideen können darin ebenso eine Rolle spielen wie vielversprechende Alternativen oder aber auch Ideen und Konzepte, die im weiteren oder engeren Sinne »Reste« in den Mittelpunkt stellen. Die von den Autoren geäußerten Ansichten müssen dabei weder im Ganzen noch in Teilen mit der Meinung der Betreiber von Magazin für Restkultur übereinstimmen. Alle Rechte der Gastbeiträge liegen bei den Autoren. Weitere Informationen unter Mitmachen und Copyright/Irrtuemer.

Unter »Containern«, »Dumpstern« oder aber auch »Mülltauchen« wird die Entnahme von Lebensmitteln aus Supermarktmülltonnen verstanden – und diese sind nicht selten gut gefüllt. Vermeintlich Überschüssiges oder Produkte deren Haltbarkeitsdatum (unter Umständen, aber nicht immer!) erreicht oder überschritten wurde, finden sich in den Hinterhöfen großer und kleiner Supermärkte ebenso wie Obst oder Gemüse, das Kundenansprüchen nicht zu genügen scheint. Gern gesehen wird es allerdings nur selten, wenn sich Bedürftige und in vielen Fällen auch Food-Aktivisten daran machen, die mitunter verschlossenen oder streng abgesicherten Behältnisse nach Verwertbarem zu durchsuchen. Im besten Fall droht dem, der erwischt wird, dass er vom Hof gejagt wird – unter Umständen aber auch eine Geld- oder sogar Haftstrafe. »Für die Betroffenen gilt«, so der Jurist Max Malkus, der sich intensiv mit der strafrechtlichen Relevanz und den Folgen des Containers befasst hat, »kein bekanntes Recht, das Orientierung bietet.« Der gebürtige Niederländer, ehemaliger grüner Stadtrat in Marl und heutiger Rechtsreferendar am Oberlandesgericht in Dresden stellt auf Magazin für Restkultur seine ausführliche »rechtliche Betrachtung des Containers, seiner Sanktionen und Rechtfertigungen« vor. Dem Autor und der Redaktion ist allerdings wichtig zu betonen, dass der Text Orientierung bieten und eine hoffentlich breite Debatte über Sinn und Unsinn der gegenwärtigen Rechtslage auslösen soll. Keinesfalls dienen die hier getroffenen Aussagen als Handlungsanweisung oder Ermutigung, die zum Verstoß gegen geltende Gesetze beitragen könnten.

 

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 Gastbeitrag Dipl. Iur. Max Malkus
Containern – strafbar und strafwürdig?
Eine rechtliche Betrachtung des Containers, seiner Sanktionen und Rechtfertigungen von Dipl. Iur. Max Malkus

Containern ist ein strafrechtlich relevantes Phänomen für Polizei, Gerichte, Staatsanwaltschaften und damit des Justizbetriebs geworden. In vielen Städten und Ortschaften West-Europas organisieren sich Menschen zum sogenannten Containern oder Dumpstern. Beim Containern geht es um das Herausnehmen von weggeworfenen, noch genießbaren Lebensmitteln, um sich diese zum Verzehr anzueignen.[1] Nach Auslegung der aktuellen deutschen Gesetze ist eine Anklage – in den krassesten Fällen wegen besonders schweren Falls des Diebstahls – mit einer Strafandrohung von mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe auch in der Praxis nicht unüblich.

Gleichwohl gibt es auch andere Auffassungen, wonach das Containern nicht strafbar ist. Insbesondere von Menschen, die Containern, aber auch in den Medien, wird die Strafwürdigkeit in Zweifel gezogen. Es stellt sich die Frage, ob die Wegnahme eines Lebensmittels in gleicher Weise zu bestrafen ist wie die Wegnahme eines sonstigen Gegenstandes. Containern tangiert Grundrechte wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht für natürliche Personen, Art. 2 Abs. I GG i.V.m. Art. 1 Abs. I GG[2], die Berufsfreiheit, Art. 12 GG, das Eigentum, Art. 14 GG, die Handlungsfreiheit, Art 2 I GG, aber auch das in die Verfassung in unmittelbaren Anschluss an die Grundrechte aufgenommene Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlage aus Art. 20 a GG.[3] Die Grundrechte binden bei der Abwägung in juristischen Auslegungsfragen die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. So ist das Staatsziel aus Art. 20a GG als verfassungsrechtliche Wertentscheidung zugunsten des Umwelt- und Tierschutzes zu verstehen und bei der Auslegung des einfachen Rechts, etwa bei Strafvorschriften, zu beachten.[4]

Der französische Gesetzgeber hat im Februar 2016 das Gesetz „Kampf gegen Lebensmittelverschwendung“ verabschiedet und damit dem Containern u.a. im wesentlichen die physische Grundlage entzogen (vgl. unter C. Auflösungsvorschläge). Strafrechtlich sind Lebensmittel ebenso Gegenstände wie im Zivilrecht. Eigentums- und diebstahlsfähig sind Lebensmittelgegenstände als körperliche Sachen, jedenfalls nach der herrschenden Meinung, gleichermaßen. Unterschiede zwischen Lebensmittel-Sachen und anderen Gegenständen, wie auch Tieren, dürften gleichwohl auszumachen sein. Da sich diese Unterschiede im Gesetz – und bislang in der Rechtsprechung zum Containern nicht widerspiegeln – bedarf es für die Rechts-Praxis einer entsprechenden Berücksichtigung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bei der Rechtsauslegung und -anwendung.

I. Praktische Bedeutung

Bereits die mit der Frage beschäftigten Gerichte und Staatsanwaltschaften werten die Handlung äußert unterschiedlich. Die Staatsanwaltschaften und Gerichte sprechen unterschiedliche Strafandrohungen aus, bzw. stellen Container-Verfahren generell ein, während andere Staatsanwaltschaften auf eine Strafverfolgung beharren. Die Polizei verfolgt das Containern mal wohl und mal nicht. Für die Betroffenen gilt soweit kein bekanntes Recht, an dem sie sich orientieren könnten und vor dessen Hintergrund sie die Strafwürdigkeit ihres Handelns abschätzen könnten. Das ist ein praktisches Problem, denn wem bei der Begehung der Tat die Einsicht Unrecht zu tun fehlt, wird gem. § 17 StGB nicht bestraft, soweit er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Freilich setzt dies voraus, dass objektiv überhaupt ein strafbares Verhalten vorliegt.

Für die Betroffenen gilt soweit kein bekanntes Recht, an dem sie sich orientieren könnten und vor dessen Hintergrund sie die Strafwürdigkeit ihres Handelns abschätzen könnten.
Unter Anderem kam es im Juni 2012 zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in München, die vier Männern im Alter von 20–34 Jahren vorwarf, Obst und Gemüse aus den Mülleimern eines Supermarktes in Germering, einem Vorort von München, entwendet zu haben.[5] Die Staatsanwaltschaft erhob Klage wegen Bandendiebstahls an 20 Kilogramm Lebensmitteln, deren Haltbarkeitsdatum überschritten war.[6] In dem als „Keksprozess“ in den Medien bekanntgewordenen Fall,[7] in dem ein 52 jähriger Mann zunächst zu insgesamt 125 Euro Geldstrafe verurteilt worden war, sprach das Landgericht Lüneburg, nachdem die Staatsanwaltschaft in der Berufung 15 Tagessätze gefordert hatte,[8] den Angeklagten frei. Das Gericht berief sich auf die schwierige Beweislage und letztendlich auf den Grundsatz in dubio pro reo. Der Vorwurf des Hausfriedensbruchs konnte nicht bewiesen werden. Das Gericht betonte allerdings die aus seiner Sicht grundsätzliche Strafbarkeit für denjenigen, „der unbefugt das Gelände von Supermärkten, Bäckereien oder Hotels betritt, und dort – ob aus Bedürftigkeit oder aus Protest gegen die „Wegwerfgesellschaft“ – aus Mülltonnen oder Containern nach verwertbaren Lebensmitteln sucht und diese an sich nimmt.“[9] Die daraufhin eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft wurde zurückgenommen.[10] Die am Abend des 13. Juni 2013 in Witzenhausen aufgegriffenen Personen mussten sich Anfang des Jahres 2014 als Angeklagte wegen Einbruchdiebstahl vor dem Amtsgericht Eschwege verantworten. Da die Angeklagten die Lebensmittel aus einem im Sinne des § 123 Abs. I. StGB befriedeten Abfall-Container entnommen haben sollen, lautete die Anklage auf Diebstahl im besonders schweren Fall gem. § 243 Abs. I Nr. 1. StGB.

Die Mindeststrafandrohung, die das Gesetz in diesem Fall vorsieht, ist drei Monate Freiheitsstrafe. Nachdem die Angeschuldigten gegen einen Strafbefehl über jeweils 90 Tagessätze à 50 Euro[11] Einspruch einlegten, wurden die Angeklagten in der Hauptverhandlung am 20.02.2014 freigesprochen.[12] Bereits am 21.09. 2011 hat das Amtsgericht Döbeln, nachdem die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse angenommen hatte,[13] die am 13.04.2010 von der Polizei mit Lebensmitteln angetroffenen Angeklagten einen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen,[14] und gegen den anderen Angeklagten das Verfahren unter Auflage von Arbeitsstunden eingestellt.[15] Auch das Landgericht Aachen klärte die materiell rechtliche Frage am Ende nicht, sondern hob die Entscheidung der Vorinstanz am 25. Juni 2013 mit einem Einstellungsbeschluss wieder auf.[16]

Hinter Gittern wegen »Containern«? Die Rechtsprechung ist – so sieht das Max Malkus – nicht eindeutig
Hinter Gittern wegen »Containern«? Die Rechtsprechung ist – so sieht das Max Malkus – nicht eindeutig ©Foto: Andreas Trojak

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